Elektronische Bücher auf dem Vormarsch – auch in die Bibliotheken?

von Clemens Deider und Rolf Fuhlrott

  1. Bisherige Entwicklung
  2. Immerhin schon seit über 50 Jahren versuchen Wissenschaftler, Bücher in elektronischer Form zu speichern und auf einem tragbaren Bildschirm lesbar zu machen. "Memex" wird allgemein als erster Versuch dieser Art angesehen, der zwar schon 1945 von sich reden machte, aber nie über das Entwurfsstadium hinauskam und somit nur den Beginn einer langen Reihe gescheiterter Versuche darstellt. Die zuletzt erfolglosen Versuche waren die von Sony und Panasonic, die noch vor einigen Jahren gemeinsam versucht hatten, CD-ROM-Bücher mit Lesegeräten auf den Markt zu bringen.

    Erfolgreicher scheinen dagegen einige vor allem amerikanische Firmen zu sein, die in den letzten fünf Jahren neue Techniken für Speicher und Bildschirme entwickelt haben und nun mit buchähnlichen Prototypen ihre Marktchancen bei Verlegern, Buchhändlern und Endverbrauchern testen. Und diese Testergebnisse scheinen so positiv zu sein, daß sie jetzt mit Macht auf den Markt drängen - ohne daß leider Bibliotheken davon Kenntnis zu nehmen scheinen, wenigstens bei uns noch nicht!

    In der amerikanischen Presse, sowohl der populären wie der wissenschaftlichen, ist dagegen bereits eine heftige Diskussion über das Für und Wider solcher dort E-Books genannten Geräte entstanden, die sogar in eigens dafür eingerichteten Kongressen fortgeführt wird, wo auch die Auswirkungen auf das Buch- und Bibliothekswesen abgeschätzt werden.

    Nachdem bei uns, fast unbemerkt, erste Präsentationen solcher elektronischen Bücher z.B. auf der Buchmesse 1998 in Frankfurt, weiter auf der Learntec ´99 in Karlsruhe und jetzt auf der CeBIT in Hannover (siehe dazu auch den CeBIT-Bericht von Deider in diesem Heft) erfolgten und Lev Amlinski erstmals im letzten Heft 1998 von B.I.T. online auf diese Entwicklung hingewiesen hat, ist es jetzt wohl an der Zeit, daß auch deutsche Bibliothekare sich mit den möglichen Auswirkungen elektronischer Bücher auf den Bestand, die Gebäude und Dienstleistungen von Bibliotheken befassen.

     

  3. Was sind Elektronische Bücher?
  4. Elektronische Bücher, im Englischen wie gesagt E-Books genannt, wollen, wie der Name schon sagt, das herkömmliche, gedruckte Medium durch ein neues, aber vielseitigeres ersetzen. Dabei lehnen sie sich in ihrer äußeren Form und auch im Gewicht durchaus an ihre Vorbilder an, wobei der Text auf einer Art Bildschirm erscheint. Darüber hinaus können E-Books, anders als ihre herkömmlichen Geschwister, nicht nur den Text eines einzigen Buches aufnehmen, sondern den von vielen, und zwar nicht ein für allemal fest, sondern variabel, so daß sie also gelöscht und durch andere ersetzt werden können. Sie sind wie jedes andere Buch transportabel, können also an jedem beliebigen Ort und sogar bei Nacht gelesen werden, schnurlos mittels Batterien wie auch batteriesparend mit Netzteil.

    Auf den Bildschirm holen kann man sich eine Buchseite oder auch die Doppelseite eines aufgeschlagenen Buches, wobei es Systeme gibt, die wie ein Buch aufgeklappt werden können und so mit zwei Bildschirmen arbeiten, so daß jeweils die linke wie die rechte Seite eines Buches abgebildet wird. Man kann bei einigen Geräten die Seiten als Ganzes umblättern, bei anderen die Zeilen wie am PC scrollen, je nach System. Auch ist es möglich, z.B. bei mit Touch-Screens ausgestatteten Systemen eigenhändige Notizen oder Randbemerkungen einzufügen. Für Menschen mit Sehschwächen oder Sehbehinderungen wird die Veränderbarkeit der Art und Größe der Buchstaben sehr hilfreich sein.

     

  5. Was kann gespeichert werden?

Vieles, was Elektronische Bücher können, ist natürlich in PCs, Laptops oder anderen Kleincomputern wie z.B. dem Palmpilot von Sony bereits erprobt. So auch das Herunterladen elektronischer Daten auf einen persönlichen Speicher. Eingelesen werden können die gewünschten Daten, z.B. ein Buchinhalt, in einen Speicher, der sich in der Regel im Rücken des E-Books befindet, wo auch Prozessor und Batterien plaziert sind.

Weil die Dichte der Speicher vehement ansteigt, ist bislang noch kein Ende der Speicherkapazität abzusehen. Während heute die ersten E-Books ein Volumen von zehn bis zwölf Bücher aufweisen, denken Forscher, z.B. am Massachusetts Institute of Technology (MIT), bereits an Kapazitäten für ganze Bibliotheken, die so wirklich in einer Hand gehalten und auf neuartigen Bildschirmen von E-Books recherchierbar und lesbar gemacht werden können – und zwar nicht als Utopie!

Aber wie werden solche Datenmengen in das Elektronische Buch übergeführt? Da gibt es bislang grundsätzlich drei Methoden des Inputs:

  1. Bei der einen kann man alles, was man auf den PC aus dem Internet herunterladen kann, von dort in sein E-Book überführen.

2. Bei der zweiten Methode kann man über das im Buchrücken eingebaute Modem direkt

aus dem Internet oder von einem bestimmten Vertragshändler das Gewünschte

herunterladen.

3. Schließlich kann man auch von bereits vorhandenen Medien wie CD-ROMs,

Kassetten o.ä. oder sogar Handschriftliches über Scanner oder direkt einlesen.

 

4. Wie sehen Gegenwart und Zukunft, Praxis und Forschung aus?

 

Bis heute gibt es zahlreiche Firmen, besonders in den USA, aber auch schon in Deutschland, die sich mit der Herstellung solcher Elektronischer Bücher befassen, bzw. solche bereits auf den Markt gebracht haben.

4.1 Einzelne Systeme

Als eine der ersten Firmen brachte NuvoMedia, die vor knapp zwei Jahren im kalifornischen Silicon Valley gegründet wurde und als eine der profiliertesten Start-up-Firmen des Landes gilt, das elektronische Buch- und Distributionssystem RocketBook (Abb.>1) auf den Markt. In Deutschland hat die vor gut einem Jahr gegründete Bertelsmann-Einheit "Bertelsmann Ventures" eine maßgebliche Beteiligung an dieser US-Firma erworben, um das RocketBook auf dem deutschen Markt einzuführen, wozu die Firma Faktor 3 Gesellschaft für Kommunikationsgestaltung in Hamburg die Public Relations übernommen hat. Nachdem das RocketBook bereits auf der Frankfurter Buchmesse 1998 und jetzt auf der CeBIT präsentiert wurde, ist seine offizielle deutsche Markteinführung für das zweite Quartal 1999 vorgesehen.

Das RocketBook sieht aus wie ein Kleincomputer, ähnlich wie der erwähnte Palmpilot von Sony. Es wiegt etwa ein Pfund und entspricht damit dem durchschnittlichen Gewicht eines Taschenbuches. Es ist sowohl für Rechts- wie für Linkshänder geeignet; man braucht es nur umzudrehen, um bequem die entsprechende Tastatur bedienen zu können. Bis zu 4000 Text- und Grafikseiten passen auf den Speicherchip, d.h. Platz für etwa zehn Romane im Taschenbuchformat, seine Energie bezieht das Gerät aus einem Akku.

Um lesen zu können, wird ein mit einem Modem ausgestatteter PC benötigt, auf den die gewünschte Lektüre online von den Buchverlagen heruntergeladen werden kann und von dort auf den 20 mal 13 cm großen LCD-Bildschirm des E-Books mit schwarzen Lettern und grauem Hintergrund. Es können Größe und Art der Schrifttypen variiert, d.h. die Lieblingsschriftart und am besten lesbare Größe eingestellt werden.

Da das RocketBook bzw. seine Daten in digitaler Form angeboten werden, kann der Leser darin herumstöbern, bestimmte Stellen ausfindig machen, mit einem Stift auf dem Touch-Screen Anmerkungen einfügen, Markierungen vornehmen, Lesezeichen setzen oder Verweise auf andere Bücher oder Schriftstücke einbauen; eine Vielzahl von Möglichkeiten, die eine traditionelle Papierausgabe nicht ohne weiteres bieten kann. Sogar das Lesen im Dunkeln wird durch ein beleuchtetes Display möglich. Allerdings ist der Text nicht in einzelne Seiten formatiert, sondern man muß Zeile für Zeile vor- oder zurückscrollen. Das macht das Lesen noch mühsam, wie auch Qualität und Größe des Bildschirms von den ersten Benutzern nicht besonders gerühmt wird. Die Lesedauer ist durch die Kapazität des Akkus auf maximal etwa 33 Stunden beschränkt; bei eingeschalteter Beleuchtung sollen es nur 17 sein.

Das RocketBook wird in den USA zur Zeit für 499 $ angeboten, und der Leser kann Bücher herunterladen zu Preisen, die manchmal niedriger, manchmal höher sind als bei den gedruckten Ausgaben; aber beileibe nicht das gesamte Wissen der Menschheit, sondern bei NuvoMedia bzw. Bertelsmann sind es zur Zeit nur wenig über 200 Titel, die dann auch nur im Rocket-Format gelesen werden können, also (noch!) nicht auf den Geräten anderer Hersteller. Aber auch hier werden Vereinheitlichungen angestrebt. Bereits Ende Januar haben sich E-Book-Hersteller, Verleger und Software-Häuser getroffen, um Standards für E-Book-Formate, Inhalt, Verteilung und Copyright zu entwickeln. Arbeitsgruppen wie das Open eBook Standards Committee oder die Electronic Book Exchange (EBX) Working Group haben bereits ihre Arbeit aufgenommen.

Ungeachtet der Standardisierungsbemühungen wird es weitere Hersteller geben, die sich ein Stück vom Kuchen auf diesem neuen Markt abschneiden wollen. Wie das RocketBook ist auch das SoftBook von Softbook Press (Abb.>2) bereits auf dem amerikanischen Markt eingeführt und kann erste Erfahrungen aufweisen. Es zeichnet sich durch einen größeren Bildschirm von 16 x 20 cm aus, der auf blauem Hintergrund auch eine größere Brillanz aufweist und für die Augen, nach ersten Erfahrungen, wohltuender zu sein scheint. Allerdings hat es mit etwa 1,5 Kilo auch ein höheres Gewicht, dazu aber serienmäßig einen gefälligen Ledereinband.

Der Einkaufspreis liegt in den USA bei 299 $, wozu allerdings ein monatlicher Mindestkaufpreis von 20 $ für das autorisierte Herunterladen aus dem Angebot des Buchvertriebs zwei Jahre lang hinzukommt. Das Herunterladen ist bei diesem Gerät sehr einfach, da man weder ein externes Modem noch einen PC benötigt, mittels eingebautem Modem kann man über einen Telefonanschluß mit dem Softbook’s Online Server verbunden werden und aus dem Verkaufskatalog direkt das Gewünschte auf sein E-Book laden. Ein Vorteil ist es, daß es sich beim SoftBook um formatierte Bildschirmseiten handelt, so daß man wirklich blättern kann und nicht scrollen muß. Die Möglichkeit, Anmerkungen, Markierungen oder Lesezeichen zu setzen, sind hier ebenso gegeben. Das Fassungsvermögen ist doppelt so hoch wie beim RocketBook, allerdings soll das Kaufangebot an verfügbaren elektronischen Texten noch gering sein, man ist aber dabei, mit weiteren Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsverlegern Partnerschaften einzugehen, will aber weniger Wert auf Belletristik legen als auf Fachtexte.

Konkurrenz droht den beiden Marktführern in erster Linie aus dem eigenen Land. Aber zahlreiche Attribute gleichen sich, wie z.B. beim EB Dedicated Reader von Everybook (Abb.>3) mit weltweitem Zugriff über Buchläden, 24 Stunden am Tag, Copyright-Schutz und einfacher Handhabung. Dafür benötigt das Gerät keinen PC. Es holt sich seine Informationen per eingebautem 56K-Modem direkt über die Telefonleitung - ohne Abo-Verpflichtung. Das Everybook sucht auch optisch die Nähe zum "normalen" Buch. Zwei hochauflösende Farbdisplays, die wie Seiten eines Buches aufgeklappt werden, kommen diesem nahe. Mit Miniaturfestplatten ausgestattet hat das Everybook wohl die größte, bislang unvorstellbare Speicherkapazität, was sich nicht nur im Gewicht von beinahe zwei Kilo, sondern auch im voraussichtlichen Preis von 1000 bis 1500 $, je nach Studenten- oder Profiversion, niederschlägt. Mit diesen Voraussetzungen will das Everybook die technische Bibliothek in der Westentasche werden.

So gibt es noch eine Anzahl weiterer Firmen, die unmittelbar vor dem Marktauftritt stehen oder in deren Forschungslaboratorien Prototypen herangebildet werden. Die kleine Start-up-Company Librius gehört zu ihnen. Ihr Millennium Reader (Abb.>4) soll noch in diesem Jahr für 199 $ auf den US-Markt kommen. Der WebMan von Anigma (Abb.>5) und WebPAD von Cyrix (Abb.>6) sind weitere Beispiele. Bereits seit Herbst 1996 arbeitet man am FX Palo Alto Laboratorium in Kalifornien an einer Active Reading Machine. Sie soll dem aktiven Lesen dienen im Gegensatz zum passiven der Erbauung und Entspannung. Dieser in Zusammenarbeit mit Xerox entwickelte Prototyp XLibris (Abb.>7) soll mit allen Möglichkeiten ausgestattet sein, wie sie auch bedrucktes Papier bietet. Das Virtual Book von Lectrice (Abb.>8) ist eine weitere Variante, die das Forschungslabor aber auch noch nicht verlassen hat. Zwei Seiten auf einem Bildschirm ermöglichen das Lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch sowie das Blättern ohne Zwang zum Scrollen, Batterie und Netzbetrieb machen es sehr flexibel nutzbar. Ausgestattet mit einem hochauflösenden Touch-Bildschirm soll es nicht nur Notizen ermöglichen, sondern auch das Lesen angenehm gestalten. Als erster Großkonzern in Deutschland hat Siemens auf der Learntec in Karlsruhe Ende Februar 1999 ein E-Book der Öffentlichkeit vorgestellt, ist aber mit Informationen darüber noch zurückhaltend.

Waren sich die bisher dargestellten, auf dem Markt befindlichen oder auf diesen strebenden E-Books in vielen Dingen ähnlich, so ist das Elektronische Buch der Zukunft wohl ebenfalls in den USA am berühmten Massachussetts Institute of Technology (MIT) im Entstehen. Nicht nur, weil die herkömmliche LCD-Technik Qualitätsfragen, besonders im Sonnenlicht, offen läßt, sondern auch teuer ist, hat man im neuenglischen Cambridge ein neues Verfahren mit sog. Elektronischer Tinte entwickelt, das mit papierähnlichen Seiten zu einem elektronischen Buch zusammengefaßt als Last Book (Abb.>9) das ursprüngliche Buchgefühl wieder aufkommen lassen will. Aber neben dieser Äußerlichkeit ist es das Forschungsziel, zu sehr kostengünstigen immensen Speicherkapazitäten zu kommen, die ganze Bibliotheken aufnehmen können.

So sieht dieses "Letzte Buch" aus wie ein herkömmliches Buch, dessen Buchseiten umgeblättert werden können. Wenn auch in dieser ersten Phase erst zwei Buchseiten verwirklicht sind, ähnlich wie beim Everybook, so ist doch das mehrseitige Buch oder die Fibel das angestrebte Forschungsziel, um schließlich zu den erwähnten Speicherkapazitäten zu kommen. Mechanische und elektronische Steuerungsprobleme sind dafür wohl noch zu lösen, aber die Seiten sind dann von dem haptischen Gebrauch sehr papier- oder buchähnlich.

Die Seiten selbst werden mit der erwähnten elektronischen Tinte (E-Ink) beschrieben. Diese E-Ink ist eingebettet in eine 0.2 mm dicke Spezialfolie und besteht aus unzähligen Kapseln von 0.04 mm Durchmesser, die gleichsam zwischen zwei transparenten Elektroden schwimmen. Wird nun elektrische Spannung an diese gelegt, bewegen sich in den Mikrokapseln schwarze und weiße Teilchen an die jeweils entgegengesetzte Seite, d.h. je nach Befehl drehen sich die Kapseln auf die schwarze bzw. weiße Halbseite und formen so die abzubildenden Zeichen. Mit der Schwarz-weiß-Version kann nach Ansicht des Entwicklers, des MIT-Assistant-Professors Joseph Jacobson, eine Auflösung von 1200 Punkten pro inch erreicht werden. Ihm allerdings genügen vorerst 150 dpi; bei einem durchschnittlichen Bildschirm liegt die Auflösung bei 80 bis 100 dpi. Da im Gegensatz zu einem LCD-Bildschirm die Seiten mit der E-Ink nicht ständig aufgebaut werden müssen, ist der Energieverbrauch minimal, d.h. auch ohne Strom, der nur bei der Erstbeschreibung bzw. der Aktualisierung fließt, kann alles schwarz auf weiß gelesen werden. Wie lange das Schriftbild selbst stabil bleibt, also nicht langsam verblaßt und so ein Refreshing notwendig macht, konnte bislang nicht in Erfahrung gebracht werden. Über diese Erfolge hinaus arbeiten die Entwickler am MIT bereits an einer farbigen elektronischen Tinte.

Eingelesen wird der Buchtext in einen Speicher im Buchrücken, wo auch Prozessor und Batterien angesiedelt sind. Als Speicher kann eine Flash-Speicherkarte dienen, die heute schon ein Volumen von 500 Megabyte umfassen kann. Jacobson weist aber darauf hin, daß am MIT bald Speicher mit entsprechenden Schreib- und Leseköpfen im Entstehen sind, die über den Gigabyte-Bereich hinausgehen und gar in den Tetrabyte-Bereich vordringen. Dann wird es möglich sein, ganze Bibliotheken, wie etwa die Library of Congress, in einem einzigen Buch, dem "Letzten Buch" zu speichern.

Zu erwähnen ist noch, daß auch Xerox mit einem Electric Paper in diese Richtung forscht, was wohl im Augenblick die zukunftsträchtigste Technologie zu sein scheint.

4.2 Ergebnis

Nach dieser Vorstellung der ersten Systeme und Geräte auf dem Markt, weiterer Prototypen sowie Zukunftsvorstellungen der Forschung zeigen sich erste Anwendungsmöglichkeiten wie auch Verbesserungswünsche oder gar –zwänge, die infolge des starken Wettbewerbs sicher auch bald realisiert werden.

Der stärksten Kritik unterliegt wohl die Qualität der LCD-Bildschirme. Hier zeigt jedoch das MIT schon bessere Lösungen auf. Auch das Gewicht einzelner Geräte erscheint zahlreichen Benutzern zu hoch, wenn es einmal ein bis 1.5 Kilo überschreitet, also dem eines Hardcover-Romans. Ein Muß scheint die seitenweise Formatierung zu sein und damit das Umblättern, denn das zeilenweise Scrollen verhinderte schon am PC das Lesen längerer Texte und führte zum häufigen Wiederausdruck auf Papier. Ein großer Nachteil ist die noch geringe Lebensdauer der Batterien oder Akkus und ihr Gewicht, das bis zu 2/3 des Gesamtgewichtes des Gerätes ausmachen kann. Hier scheinen das MIT wie auch Xerox mit ihren stromsparenden Versionen auf einem zukunftsträchtigen Weg zu sein. Auch die augenblicklichen Kosten zwischen 300 und 1 500 US$ verhindern noch eine breite Akzeptanz. Aber hier wird, wie bei allen elektronischen Geräten, nach der Markteinführung bald eine rapide Preissenkung einsetzen.

Problematisch ist noch die Inkompatibilität der verschiedenen Systeme. Das aber haben die Hersteller längst auch erkannt und sich schon auf den steinigen Weg der Standardisierung begeben. Es wird sicher auch zu Konsortienbildungen der Anbieter elektronischer Texte kommen, wie wohl sich auch bei diesen sachliche Schwerpunkte bilden werden, ähnlich wie bei den Verlegern herkömmlicher Literatur. Natürlich wird sich dann auch die Frage (wieder) stellen, ob Autoren diesen Mittelsmann noch weiterhin benötigen! Manche Verlage versuchen dieser Gefahr durch Publishing on Demand, d.h. den Druck einzelner Bücher zum Zeitpunkt des Bedarfs zu entgehen, andere lehnen diese digitale POD-Technik schon aus Qualitätsgründen ab und setzen eher auf die Risographie, die bessere Qualität in Papier, Druck und Bindung erlaubt. Jedenfalls ist dem POD mit dem E-Book ein ernsthafter Konkurrent erwachsen. Allerdings ist im Augenblick das offizielle, käufliche Angebot an elektronischen Texten noch recht schmal. Aber viele copyright-freie Texte können auch heute schon im Internet gefunden werden. Die Uralt-Quelle dazu ist das Projekt Gutenberg (www.gutenberg.net), in dem Titel nach 1971 von einem Verbund Freiwilliger der Öffentlichkeit kostenfrei angeboten werden.

Bei den verlagsgebundenen Texten, auf die nach einer Standardisierung jedermann unabhängig von der Art seines E-Books zugreifen könnte, stellt sich dann die Frage der Bezahlung, z.B. der an einer Buchtankstelle (Bibliothek?) gezapften Texte. Denkbar für eine Direktbezahlung wäre die Nutzung der 0180-Service-Nummern der Deutschen Telekom AG oder auch der Einsatz der elektronischen Geldbörse. Auf jeden Fall müßte vor der Zahlung ein informatives Durchblättern der Texte gestattet sein, deren Übertragung erst durch die Zahlung und Aufhebung einer Up-date-Sperre ermöglicht wird.

 

5. Werden E-Books Auswirkungen auf das Bibiothekswesen haben?

Die Auswirkungen des Elektronischen Buches sind natürlich in erster Linie abhängig von der Akzeptanz dieses neuen Mediums durch die Benutzer. Für einen Buchleser, der in der Tradition der seit Jahrhunderten gewachsenen Lesegewohnheiten steht, wird die Nutzung und Handhabung eines E-Books zunächst ungewohnt sein, auch wenn die Lesegeräte in der Konfektionierung, dem Kniffen von Eselsohren, Setzen von Markierungen und Randnotizen sowie dem Einlegen von Lesezeichen der Nutzung herkömmlicher Bücher sehr nahe kommen oder in manchen Eigenschaften sogar übertreffen. Die Autoren sind überzeugt, daß, wenn die im vorigen Kapitel angeführten Mängel überwunden sein werden, das Elektronische Buch eine hohe Akzeptanz haben wird und der Leser sich schnell mit dem neuen Lesegerät auch anfreunden wird, was dann erhebliche Auswirkungen auf die Bibliotheken haben muß.

Dann wird es wahrscheinlich, daß der Student seine Lehrbuchsammlung in seinem eigenen E-Book in der Tasche trägt und damit die großen, raumgreifenden Lehrbuchsammlungen der Bibliotheken obsolet werden. Ähnlich wird es sich mit den Nachschlagewerken in den Lesesälen verhalten, die nun auch in den individuellen Lesesaal des Benutzers heruntergeladen werden können. Der alte Lesesaalplatz wird nicht mehr mit dem neuen, vielleicht in der freien Natur, konkurrieren können. Ganze Jahrgänge von Zeitschriften lassen sich dann in der Tasche umhertragen, ohne daß es einer großen Zeitschriftenaus- und –ablage in einem Zeitschriftenlesesaal bedarf. Ähnlich wird es auch mit den Informationsmitteln der Bibliographien, Kataloge oder Referateblätter im sog. Bibliographischen Apparat sein. Und wenn sich schließlich die Forschungsarbeiten der MIT-Wissenschaftler in die Realität umsetzen lassen, wird es vielleicht eines nicht allzu fernen Tages wirklich nur noch das "Letzte Buch" geben – und alle Speicherprobleme der Bibliotheken könnten vergessen werden! Das Elektronische Buch kann also substantielle Auswirkungen auf den Buchbestand, die Raumfragen und die Dienstleistungen unserer Bibliotheken und deren Nutzung und damit auf das gesamte Bibliothekswesen und darüber hinaus haben.

Die Buchbestellungskette vom Autor über Verlag und Buchhandel hin zum Leser ist ohnehin bereits stark tangiert (siehe obige Bemerkungen zum Publishing on Demand), so daß das Buchgewerbe sich vehement in diese Entwicklung eingeschaltet hat. So hat das buchproduzierende Gewerbe die Bedeutung des Elektronischen Buches bereits erkannt, jedenfalls in Amerika. In Deutschland ist Bertelsmann durch seine Beteiligung am Kalifornischen Hersteller NuvoMedia ebenfalls auf diesen angefahrenen Zug aufgesprungen, wenn auch der Börsenverein (noch) keine Konkurrenz für die stationären Buchhändler zu erkennen vermag. Und wie sehen es die Bibliotheken? Wann wird bei ihnen die Diskussion beginnen? Die Verfasser dieses Beitrags jedenfalls hoffen, hiermit einen Anstoß gegeben zu haben.

 

  1. Quellen und Literaturhinweise
  1. Amlinski.Lev: Bibliotheksmanagement beim Bau von Bibliotheksgebäuden. – In:
  2. B.I.T.online 1(1998) 4, S.291-298.

    Darin: Auswirkungen elektronischer Bücher... S.295-297.

  3. As we may read: The reading appliance revolution. Von B.N.Schilit,M.N.Price,
  4. G.Golovchinski,K.Tanaka u. C.C.Marshall. – In: IEE Computer, Jan.1999, S.65-73.

    Untersuchung über Art und Weise wie Leser lesen im Vergleich zu den neuen Möglichkeiten von E-Books verschiedener Hersteller.

  5. E-Books – Bücher für das nächste Jahrtausend. – In: PC-ONLINE 5/99.
  6. Darin verschiedene Beiträge: "Revolte unter Gutenbergs Erbe", "Wann die digitalen Bücher und Lesehilfen kommen", "Wie E-Books funktionieren", "Wie der künftige Buchmark für Anbieter und Leser aussehen wird".

  7. Elektronische Bücher und das Internet werden die Textverteilung revolutionieren. – In:
  8. Computer Zeitung Nr. 99 v. 24.Sept.1998, S.24.

    Ein State-of-the-Art-Bericht über amerikanische Produkte und Reaktionen aus Deutschland.

  9. Manes,Stephen: Gutenberg need not worry – yet. – In: Forbes Magazine v. 25.Jan.1999.

Schilderung weltweiter Bemühungen, das gedruckte Buch durch E-Books zu verdrängen. Besonders das amerikanische RocketBook und SoftBook werden beschrieben sowie japanische Intensionen.

(6) Quan,Margaret: E-Book standards process faces rough road. – In: EE Times vom

25. Jan. 1999.

(7) Wagner,Bernhard: Siemens stellte auf der Learntec erstmals elektronisches Buch vor.

In: Badische Neueste Nachrichten v. 3.März 1999, Beilage: Ausbildung und Beruf S.5.

(8) Den umfassendsten Überblick über Elektronische Bücher, ihre Hersteller, Vor- und

Nachteile, Forschungsvorhaben sowie Abbildungen findet man unter der URL:

http://www.e-books.org

Informationen über einzelne E-Books findet man unter der Homepage der jeweiligen

Hersteller, wie z.B.

http://www.info@nuvomedia.com

http://www.info@softbook.com

http://www.info@everybook.net

http://www.info@librius.com

http://www.info@anigma.com

Maßgebliche Lieferanten Elektronischer Bücher sind zu finden unter:

http://www.amazon.de (der Marktführer)

http://www.buchhandel.de (Buchhändler-Vereinigung)

 

 

 

Zu den Autoren

Diplom-Volkswirt Clemens Deider ((Foto s.Impressum))

ist als Wiss. Angestellter am Deutschen Bibliotheksinstitut Berlin

zuständig für das Arbeitsgebiet Neue Medien und Technologien.

Kurt-Schumacher-Damm 12-16

D-13405 Berlin

E-Mail: deider@dbi-berlin.de

Dr.-Ing. Rolf Fuhlrott ((Foto s. Impressum))

Ist ausgebildeter Diplom-Bauingenieur und wiss. Bibliothekar und

als freier Bibliotheksbauberater tätig.

D-76185 Karlsruhe

E-Mail: fuhlrott@ubka.uni-karlsruhe.de

 

Abbildung 1: RocketBook von NuvoMedia

Abbildung 2: SoftBook von SoftBook Press

Abbildung 3: EB Dedicated Reader von Everybook, Inc.

Abbildung 4: Millennium Reader von Librius

Abbildung 5: WebMan von Anigma

Abbildung 6: WebPad von Cyrix

Abbildung 7: XLibris, An Active Reading Machine

Abbildung 8: Virtual Book von Lectrice

Abbildung 9: Last Book des MIT