Die Württembergische Landesbibliothek
Von Inkunabeln und Bibeln zur Hybridbibliothek
von Hannsjörg Kowark
Geschichte
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Außenansicht
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Am 11. Februar 1765 von Herzog Karl Eugen
in Ludwigsburg als "Herzoglich-Öffentliche Bibliothek"
gegründet, sollte diese Bibliothek jedermann offen stehen. Als
erste deutsche Bibliothek, deren öffentlicher Charakter durch
ein Statut ausgewiesen war, hatte Karl Eugen Ausstattung, Etat,
Pflichtabgabe der Buchdrucker, Dublettentausch, Öffnungszeiten
und Verwaltungsordnung genau geregelt und Grundlagen für eine
moderne Landesbibliothek geschaffen. Mit seiner Bibliotheksgründung
wurden die kleinen Büchersammlungen seiner Administration
zusammengefasst und allgemein zugänglich gemacht. Zeitlebens
kümmerte er sich persönlich um die Bibliothek und hat den
systematischen Bestandsaufbau bis zu seinem Tode vorangetrieben. Vor
allem die reichen Altbestände mit mittelalterlichen
Handschriften (darunter der berühmte karolingische Stuttgarter
Psalter), Inkunabeln und Bibeln sind der Sammelleidenschaft des
Herzogs zu verdanken. Er benutzte seine zahlreichen Reisen ins
Ausland sowie diplomatische Beziehungen zur Akquisition seltener
Bücher und Handschriften. Besonders ausgeprägt war Karl
Eugens Interesse für Bibeln. 1784 reiste er nach Kopenhagen, um
von dem Prediger Josias Lorck dessen Bibelsammlung mit über
5.000 Bibeln anzukaufen. Nur zwei Jahre später erwarb er von dem
Nürnberger Bibliographen Georg Wolfgang Panzer weitere 600
Bibeln. Beide Bibelsammlungen bilden den Grundstock der inzwischen
weltweit berühmten Bibelsammlung der Württembergischen
Landesbibliothek.
Beim Tode des Herzogs im Jahre 1793
verfügte die Bibliothek, die inzwischen nach Stuttgart umgezogen
war, über 100.000 Bände. Ein repräsentatives
Bibliotheksgebäude erhielt die "Königlich-Öffentliche
Bibliothek" allerdings erst hundert Jahre später am
heutigen Standort der Landesbibliothek.
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Handschrift
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In den Jahren nach 1803 erhielt die
Bibliothek, wie viele Bibliotheken in Deutschland, durch die
Säkularisation einen weiteren gewaltigen Zuwachs an Büchern
und Handschriften aus aufgehobenen Klosterbibliotheken. Der
Bestandszuwachs wird auf ca. 130.000 Bände geschätzt.
Einige dieser wertvollen Handschriften und Frühdrucke wurden
zunächst von König Friedrich I. in der von ihm
eingerichteten privaten königlichen Handbibliothek aufbewahrt.
Teile davon sind bereits 1884 anlässlich der Einweihung des
neuen Bibliotheksgebäudes der Landesbibliothek übergeben
worden. Nach der Abdankung des letzten württembergischen Königs
Wilhelm II. gelangte die gesamte Königliche Hofbibliothek mit
ca. 90.000 Bänden in staatliche Verwaltung. 1937 wurde auch
dieser sehr wertvolle Bestand der Württembergischen
Landesbibliothek übergeben.
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte
die "Königlich-Öffentliche Bibliothek" zu den
fünf größten Bibliotheken in Deutschland nach Berlin,
Dresden, Göttingen und München.
In der Folgezeit sind die Bibliotheksbestände durch eine systematische Erwerbungspolitik
als Universalbibliothek bzw. durch das seit 1817 der Bibliothek
übertragene Pflichtexemplarrecht kontinuierlich angewachsen. Den
größten Rückschlag in ihrer Geschichte erfuhr die
Bibliothek im Zweiten Weltkrieg. 1944 wurde nahezu das gesamte
Bibliotheksgebäude durch einen Bombenangriff zerstört. Rund
500.000 Bände, mehr als die Hälfte des damaligen
Buchbestandes, sind vernichtet worden. Durch rechtzeitige Auslagerung
konnten Handschriften, Inkunabeln und Bibeln sowie ca. 500.000 Bände
glücklicherweise gerettet werden.
Bereits im Frühjahr 1946 konnte die Bibliothek in dem notdürftig hergerichteten Bibliotheksgebäude wieder eröffnet werden. Die ersten Nachkriegsjahre waren geprägt
von der Neubeschaffung der verbrannten Bibliotheksbestände unter
schwierigen räumlichen und finanziellen Bedingungen. Erst mit
dem Bezug des Neubaus 1970 - dem heutigen Bibliotheksgebäude
an der Konrad-Adenauer-Straße - fand die
Wiederaufbauphase ihren Abschluss. Die Buchbestände hatten zu
diesem Zeitpunkt fast wieder den Vorkriegsstand erreicht.
Heute ist die Württembergische Landesbibliothek (WLB) mit 4,6 Millionen Medieneinheiten die größte wissenschaftliche Bibliothek in Baden-Württemberg. Von den über
32.000 Benutzern, die zur Hälfte aus dem Hochschulbereich
stammen, werden pro Jahr über 1 Million Bände entliehen.
WLB in Zahlen 2002
Medienbestand insgesamt | 4.681.029 |
davon: |
Buchmaterialien | 3.261.606 |
Handschriften | 15.232 |
Inkunabeln | 7.024 |
Bibeln | 16.034 |
Noten | 61.970 |
Karten und Pläne | 124.971 |
Mikroformen | 381.395 |
Tonträger | 24.740 |
Filme und Videokassetten | 2.102 |
Flugblätter | 148.268 |
Feldpostbriefe | 86.123 |
Fotos | 567.598 |
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Zugang Medien insgesamt: | 71.063 |
Laufend gehaltene Zeitschriften | 14.169 |
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Benutzung |
Aktive BenutzerInnen | 32.619 |
Entleihungen insgesamt | 1.012.891 |
Fernleihbestellungen (erhaltene) | 77.785 |
Fernleihbestellungen (abgesandte) | 14.069 |
Direktlieferdienste | 5.975 |
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Kulturelle Veranstaltungen |
Ausstellungen | 6 |
Vorträge | 19 |
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Personal |
Stellen | 138,5 |
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Funktion und Aufgaben
Die WLB ist eine
wissenschaftliche Universalbibliothek mit geistes- und
sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt. Sie dient der Lehre und
Forschung und hat für die geistes- und sozialwissenschaftlichen
Fächer der Universität Stuttgart seit 1967 die Funktion
einer Universitätsbibliothek übernommen. Ferner steht sie
der Öffentlichkeit zur beruflichen und allgemeinen Weiterbildung
als Lern- und Kompetenzzentrum zur Verfügung. Seit dem Jahr 2000
ist die Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) als eine der
bedeutendsten Spezialbibliotheken für Politik und Zeitgeschichte
in Europa organisatorisch in die WLB integriert. Der Bestand der BfZ
hat inzwischen eine Größenordnung von 310.000 Bänden
internationaler Literatur zur Zeitgeschichte und Politik ab 1914
erreicht1.
Als Archivbibliothek für das
württembergische bzw. seit 1964 für das
baden-württembergische Pflichtexemplar archiviert die WLB in
Kooperation mit der Badischen Landesbibliothek (BLB) alle in
Baden-Württemberg veröffentlichten Medien.
Unter den regionalen Dienstleistungen ist
an erster Stelle Erwerb und Dokumentation der Literatur über
Baden-Württemberg anzuführen. Die Verzeichnung erfolgt in
der seit 1973 gemeinsam mit der BLB erarbeiteten "Landesbibliographie
Baden-Württemberg". Seit 1999 werden die von 1986 an in
einer Datenbank erfassten bibliographischen Daten auch über das
Internet angeboten.
Darüber hinaus versorgt die WLB
ergänzend zum überregionalen Leihverkehr durch die
"Landespost" Bibliotheken und einzelne Benutzer im
württembergischen Landesteil mit Literatur. Ferner ist die
Landesbibliothek für die Organisation des regionalen
Bücherautodienstes in der Südwestregion zuständig.
Die WLB gilt heute als eines der großen
Informations- und Kulturzentren nicht nur in Stuttgart sondern auch
in Baden-Württemberg. Im kulturellen Bereich ist die Bibliothek
mit durchschnittlich 6 Ausstellungen und 20 Vortragsveranstaltungen
im Jahr fester Bestandteil des Stuttgarter Kulturlebens.
Medienbestände und Sondersammlungen
Ursprünglich als Universalbibliothek
angelegt, wurde der Bestandsaufbau in den naturwissenschaftlichen und
technischen Fächern 1999 in Absprache mit der
Universitätsbibliothek Stuttgart zu Gunsten einer effizienteren
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Internetplätze
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Ressourcenverteilung aufgegeben. Die ohnehin traditionelle
Ausrichtung auf die Geistes- und Sozialwissenschaften konnte dadurch
noch verstärkt werden, denn die Landesbibliothek sieht sich in
der Verantwortung, die Literaturversorgung der Universität
Stuttgart für die Geisteswissenschaften sicherzustellen.
Schwerpunkte der Erwerbung sind:
- Geisteswissenschaften
- Rechtswissenschaften
- Wirtschaftswissenschaften
- Sozialwissenschaften
- Geschichte der Naturwissenschaften und Technik
- Württembergica
Als weitere Schwerpunkte der Erwerbung sind die zahlreichen Sondersammlungen zu nennen:
- die Handschriftensammlung verfügt
über einen Bestand von über 15.000 überwiegend
abendländischen (meist lat. und dt.) Handschriften aus der Zeit
vom 5. bis zum 20. Jahrhundert, darunter einen Teil der 1993 vom
Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlichen
Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen. Zusätzlich
zu den handschriftlichen Bandkatalogen und Zettelkatalogen werden
die Bestände mit Unterstützung der DFG durch moderne
gedruckte Kataloge erschlossen.
- die Inkunabelsammlung gehört mit
7.000 Frühdrucken international zu den größten und
bedeutendsten Sammlungen. Derzeit werden die Inkunabeln mit
Unterstützung der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg im
Rahmen der kooperativen Inkunabelerschließung (INKA) erfasst.
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Blick auf OPAC-Plätze
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- die Bibelsammlung enthält
derzeit ca. 16.000 Bibeln in über 400 Sprachen. Ein Teil dieser
Bestände wurde in den vergangenen Jahren mit Unterstützung
der DFG erschlossen und steht inzwischen mit gedruckten
Bibelkatalogen der Forschung zur Verfügung.
- die Musiksammlung archiviert die
Bestände des Württembergischen Hoftheaters, insbesondere
die Theaterprogramme und das gesamte Aufführungsmaterial bis in
heutige Zeit. 1971 konnte die Ballettsammlung der amerikanischen
Tänzer Doris Niles und Serge Leslie erworben werden.
- die Karten- und Grafiksammlung
verwahrt über 120.000 Karten und Pläne. Die Sammlung
enthält außerdem ca. 10.000 Bildnisse von
baden-württembergischen Personen, vornehmlich aus dem 16. bis
19. Jahrhundert. 20.000 Bildnisse zeigen Persönlichkeiten
außerhalb Baden-Württembergs. Die Sammlung wird ergänzt
durch ca. 8.000 Ansichten württembergischer Städte und Gemeinden.
- das Hölderlin-Archiv
dokumentiert seit 1941 die gesamte Rezeptionsforschung zu Friedrich
Hölderlin. Die vom Archiv erarbeitete Internationale
Hölderlinbibiographie steht seit 2001 ebenfalls über das
Internet zur Verfügung. Als einer der wertvollsten Bestände
überhaupt, verfügt die Landesbibliothek über den
weltweit umfangreichsten Bestand an Originalhandschriften Friedrich
Hölderlins.
- das George-Archiv verwaltet die
Nachlässe von Stefan George und Mitgliedern des George-Kreises.
Als Dokumentationsstelle der George-Rezeption steht das Archiv der
internationalen George-Forschung zur Verfügung.
- Die BfZ besitzt umfangreiche
archivalische Sammlungen sowie eine Dokumentationsstelle für
unkonventionelle Literatur, die in einem eigenen Beitrag vorgestellt
werden.
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Blick in den Hauptlesesaal
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Die Landesbibliothek verfügt darüber
hinaus über weitere kleinere Sammlungen (Savonarola, Swedenborg,
Nicolai etc.), auf die aus Platzgründen nicht näher
eingegangen werden kann.
Die Digitale Bibliothek
- Bibliotheksinformationssystem Stuttgart (BISS)
Die drei großen Stuttgarter
Bibliotheken - UB Hohenheim, UB Stuttgart, WLB - haben
sich 1998 für den Aufbau eines gemeinsamen
Bibliotheksinformationssystems entschieden. Realisiert wurden
inzwischen:
- der gemeinsame Online-Katalog
- der elektronische Fernleihschein
- die gemeinsame Einführung der Erwerbungsautomatisierung (LIBERO)
Ziel ist der Aufbau eines kooperativen
Dokumentlieferdienstes zwischen den einzelnen Bibliotheken sowie die
Einführung eines gemeinsamen Benutzerausweises. Alle drei
Bibliotheken betreiben gemeinsame Server für ihre elektronischen
Kataloge.
Die Katalogkonversion im SWB weist für
den Zeitraum 1851 bis 1980 noch eine empfindliche Lücke auf. Um
den Studierenden der Stuttgarter Hochschulen den Gesamtbestand der
WLB möglichst rasch über das Internet anbieten zu können,
ist beabsichtigt, den Alphabetischen Katalog noch in diesem Jahr zu
digitalisieren. Die traditionelle Katalogkonversion wird im
Ausleihfall bei noch nicht im SWB erfassten Titeln fortgeführt.
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Aktuelle Ausstellung (Hugo Wolf)
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Die WLB verfügt über eine
Digitalisierungsstelle, die wertvolle Altbestände sukzessive in
die elektronische Form überführt, um sie für die
Forschung leichter zugänglich zu machen.
- Elektronische Langzeitarchivierung
Als Pflichtexemplarbibliothek wird die WLB
künftig auch elektronische Publikationen, die nicht in Verlagen
erscheinen, erschließen und archivieren. Entsprechende Konzepte
werden derzeit mit verschiedenen Kooperationspartnern diskutiert.
Abgesehen von der aktiven Teilnahme an
kommerziellen Lieferdiensten (Subito) ist beabsichtigt, zur schnellen
Informationsversorgung von Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und
Kultur Dokumentlieferdienste aufzubauen. Als Wissensspeicher mit
reichen Altbeständen, der BfZ als Spezialbibliothek für
Zeitgeschichte, den Dokumentationsstellen Landesbibliographie,
Hölderlin- und George-Archiv sind hierfür beste
Voraussetzungen gegeben.
Dr. Hannsjörg Kowark
Württembergische Landesbibliothek
Konrad-Adenauer-Straße 8
D-70173 Stuttgart
Tel. (0) 711 / 212 - 4463
E-Mail: direktion@wlb-stuttgart.de
1. Die BfZ ist als Spezialbibliothek in diesem Heft mit einem eigenen Beitrag vertreten.