Digitalisierungsstrategien für gefährdete Archivbestände

Besuch in einem modernen Archiv mit digitalem Lesesaal

Wer bei einem Archiv an einen weltfernen dunklen Ort voll verstaubter alter Akten und Bücher denkt, wird sich bei einem Besuch des Personenstandsarchivs in Brühl (www.archive.nrw.de) sehr schnell von dieser klischeehaften Erwartung verabschieden. Ein heller freundlicher Lesesaal erwartet den Besucher in einem Seitentrakt des kurfürstlichen Schlosses, das in die von der UESCO geführten Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen wurde.

Bilder:Gisela Fleckenstein
Blick auf den Seitenflügel des kurfürstlichen Schlosses, der den Lesesaal des Archivs beherbergt.
Blick in den Lesesaal mit Computer- und Mikrofiche- Arbeitsplätzen
Einige Archivalien zur Ansicht: Kirchenbücher des 17.- 19. Jahrhunderts (LAV NRW PSA Brühl BA 89 Bachem, BA 101 Baerl, BA 137 Beeck)
Gisela Klein bei der Scanarbeit

Das Personenstandsarchiv Brühl, zwischen Köln und Bonn gelegen, ist seit Januar 2004 eine Abteilung des damals gegründeten Landesarchivs Nordrhein-Westfalen. Die räumliche Zuständigkeit erstreckt sich auf die Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln. Neben zwei zentralen Verwaltungsabteilungen in Düsseldorf und einem technischen Zentrum in Coerde sind noch weitere Archivstandorte in Detmold, Düsseldorf und Münster Teil des Landesarchivs.

Besucherzahlen des Personenstandsarchivs Brühl
Jahr Besucherzahlen Benutzte Archiveinheiten
2005 3.354 87.926
2006 3.397 87.398
2007 1.613 (Stand 30.06.2007) 40.453 (Stand 30.06.2007)

Der unkundige Archivbesucher wird sicherlich mit Erstaunen registrieren, wie viel Technik in dem Lesesaal für die Benutzer bereitsteht. 24 der insgesamt 30 Arbeitsplätze verfügen über eine EDV-Ausstattung modernsten Standards, an den sechs übrigen Arbeitsplätzen stehen Mikrofichelesegeräte bereit. Schnell wird deutlich: Auch Archive sind längst im digitalen Zeitalter angekommen und bieten den Besuchern den Zugriff auf viele Archivalien nicht mehr nur auf Mikrofilm oder Mikrofiche an, sondern zunehmend auch in Form digitaler Bilder. Aus Gründen der Bestandserhaltung werden originale Unterlagen in Brühl wie auch in vielen anderen Archiven den forschenden Besuchern ohnehin nur in Sonderfällen vorgelegt.

Dr. Christian Reinicke, Leiter des Archivs, und seine Stellvertreterin Dr. Gisela Fleckenstein berichten über die letzten technischen Neuerungen: "Seit Mitte Mai haben wir im Bereich des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen eine Art digitalen Lesesaal verwirklicht. Jeder Besucher eines Archivstandortes hat über die EDV-Arbeitsplätze Zugriff auf ein digitales Bildarchiv im Intranet. Dort sind alle Digitalisate, die bislang in den Abteilungen des Landesarchivs angefertigt wurden, abrufbar. Für die Bildansicht wurde eigens in Zusammenarbeit mit dem Technischen Zentrum des Landesarchivs ein komfortabler Viewer entwickelt, der auch die Funktionen Seitenspiegelung und Konversion in eine Negativansicht bietet." Die Resonanz der vielen Nutzer sei bislang überaus positiv.

Das will etwas heißen, denn die Kunden des Brühler Archivs sind eine kritische Klientel. Da das Archiv seinem Widmungszweck entsprechend personenstandsbezogene Unterlagen bietet, sind die Besucher überwiegend Familienforscher. Gerade Genealogen sind eine Benutzergruppe, die schon sehr frühzeitig ihre Forschungen mithilfe von Computerprogrammen und Datenbanken verwaltet und unterstützt hat. Das Internet mit seinen vielen kommerziellen und nichtkommerziellen Rechercheangeboten und die Benutzung von Mailinglisten sind in der Mehrzahl selbstverständliche Kommunikations- und Informationsmedien für Familienforscher.

So hat diese Besuchergruppe wenig Berührungsängste bei der Nutzung digitaler Daten und gleichzeitig recht hohe Qualitätsansprüche z. B. hinsichtlich Bildqualitäten, Benutzeroberflächen und Zugriffszeiten.

Woher kommen nun die digitalen Daten für die Besucher? Einen großen Teil liefert der wichtigste Bestand des Personenstandsarchivs in Brühl: Es ist die Sammlung von Kirchenbüchern, die sich aus 6493 Archiveinheiten aus den Jahren 1571-1874 zusammensetzt. Diese in Deutschland einzigartige Sammlung von Kirchenbüchern und die auch daraus resultierenden hohen Besucherzahlen haben Lokalzeitungen das Brühler Archiv schon als "Mekka der Ahnenforscher" bezeichnen lassen.

Aus Gründen der Bestandserhaltung sind die oft sehr stark beschädigten und aufwändig restaurierten Kirchenbücher schon seit 1999/2000 der täglichen physischen Benutzung entzogen. Bis in die 90er Jahre waren das gängige Sicherungsmedium hauptsächlich Mikrofilm und Mikrofiche. Für die Langzeitsicherung sind diese Medien auch heute noch die erste Wahl. Für die tägliche Benutzung jedoch sind nun digitale Bilder zum Standard geworden, da sie einfacher zu handhaben sind und oftmals eine wesentlich bessere Lesequalität als Filme bieten. Ende der 90er Jahre wurde in Brühl der digitale Weg beschritten und es begann ein Sicherungsprojekt mit dem Ziel, 4196 Kirchenbücher, die zu den ältesten Beständen gehören, durch Farbscans digital zu sichern und den Nutzern auf diese moderne Art zur Verfügung zu stellen.

Seit Ende 2006 ist für die Scanarbeiten ein Buchscanner der Marke Bookeye®3 A2 mit Buchwippe und Glasplatte im Einsatz. Die Vorgaben für die Erstellung der Scans sind seit Beginn des Projektes konstant geblieben, denn sie haben sich bewährt. Gescannt werden Einzelseiten in Farbe mit einer Auflösung von 300dpi, im Einzelfall kann die Auflösung auf bis zu 600dpi heraufgesetzt werden. Zieldatenformat ist jpg. Die erzielte Qualität ist so überzeugend, dass auch penible Kunden keinen Anlass zur Kritik finden. Allerdings sind bei den Scanarbeiten auch Profis mit kritischem Auge am Werk. Gisela Klein und Rainer Soettke, die die Digitalisierungsarbeiten durchführen, sind selbst ausgebildete Fotografen, die ehemals in der Fotowerkstatt des Archivs arbeiteten. Die Fotowerkstatt ist nun digitale Scanwerkstatt.

Die alten Kirchenbücher sind nicht selten in einem stark angegriffenen Zustand - Zeit, unsachgemäße Aufbewahrung und häufige Nutzung haben ihre Spuren hinterlassen bis sie schließlich ihren Weg ins Archiv fanden und konservatorischen Maßnahmen unterzogen werden konnten.

Tintenfraß, verblassende Schrift, eingerissene und verschmutzte Seiten, zerbrochene Buchrücken sind die häufigsten Schädigungen. So ist vorsichtiges aber gleichwohl zügiges Arbeiten geboten, damit die Bücher so schnell wie möglich wieder in das klimatisierte Magazin zurückgegeben werden können. Die Tagesproduktion liegt inzwischen bei 600 Kirchenbuchseiten, Paginierungsarbeiten, Qualitäts- und Vollständigkeitskontrolle inklusive.

Der Arbeitsablauf am Scangerät wird gesteuert durch die Software BCS-2®. Mittels dieser werden die Scanaufträge verwaltet und Bilder können nachbearbeitet werden. Einiges an Programmierarbeit ist insbesondere in die Anforderungen zur Seitenverwaltung geflossen. So muss für das Projekt gewährleistet sein, dass das entstehende jpg nach der Seitenzahl der gescannten Seite benannt wird.

Natürlich ist das kein Hexenwerk, allerdings weisen Kirchenbücher einige Eigenwilligkeiten auf, wie z. B. beschriebene Buchdeckel, eingeklebte Vorblätter mit Verordnungen, nachträglich eingeklebte Korrekturzettel usw. Dies muss über verschiedene Hierarchieebenen der Nummerierung abbildbar sein. Neben einigen anderen Funktionen wie Seitenteilung oder Maskierung gehört es zum Standard der Software, dass Bilder in einem Nachbearbeitungsschritt mit erläuternden Kopf- und Fußzeilen versehen oder auch leicht pdfs und html-Ansichten generiert werden können. Verbessert wird die Arbeitsergonomie durch ein Scanpad mit einer tastenbezogenen Programmierung der am häufigsten gebrauchten Funktionen.

Damit die Ablösung des zuvor eingesetzten Scannermodells durch den Bookeye®3 auch reibungslos verlief, haben die Mitarbeiter von ImageWare Gisela Klein und Rainer Soettke in einigen Besuchen geschult. Durch den intensiven fachlichen Austausch, bei dem letztlich noch Wünsche an die Software formuliert wurden, haben beide Seiten profitiert. Die Software wurde noch leistungsfähiger und die Arbeit der beiden Digitalisierungsprofis beschleunigt und erleichtert.

Die Archivmitarbeiter sind mit ihrem noch relativ neuen Arbeitsgerät sehr zufrieden und trauern dem alten Scanner nicht nach: "Das Scannen geht einfach schneller, die Qualität ist sehr gut und einige Softwareneuerungen erleichtern uns die Nacharbeiten" ist das Fazit von Gisela Klein und Rainer Soettke.

Mittlerweile sind ziemlich genau 50 % des Bestandes digital bearbeitet (Stand Ende Juni 2007) und ca. 350.000 digitale Kirchenbuchseiten können von Archivbesuchern eingesehen werden. Doch mit der Bereitstellung der Bilddaten im Lesesaal für die Nutzer und der Langzeitspeicherung auf dem Server - natürlich mit Sicherungskopie auf einem zweiten Server - ließen es die Brühler nicht bewenden.

Seit Ende 2003 werden in arbeitsteiliger Kooperation mit einem eigens gegründeten Verlag (www.ptverlag.de) die Kirchenbücher als käufliche CD oder DVD herausgegeben. Die Digitalisate werden dazu mittels BCS2 mit einer html-Benutzeroberfläche versehen. Der Käufer kann sich die Bilder als jpg oder pdf ansehen. Als zusätzliche Informationsquellen und Erschließungshilfen enthalten die veröffentlichten Titel Bestandsverzeichnisse und Inhaltszusammenfassungen der jeweiligen Kirchenbücher.

Die Resonanz ist sehr positiv. Die Käufer sind begeistert von der Qualität der Digitalisate; insbesondere erfahrene Forscher sind froh, sich mehr und mehr bei ihren Recherchearbeiten vom Mikrofilm verabschieden zu können. Denn die meisten Familienforscher arbeiten am heimischen Schreibtisch, wo i.d.R. kein Mikrofiche-Lesegerät zur Verfügung steht und Schwarz-Weiß-Ausdrucke auf der Basis von Mikrofiches bieten oft eine nur sehr bescheidene Qualität und bereiten dem Benutzer dadurch Probleme beim Entziffern alter Handschriften. Ein hochwertiges digitales Farbbild bietet dagegen oft ganz neue Erkenntnisse bzw. hilft durch die verbesserte Lesbarkeit die eine oder andere Forschungslücke zu schließen. Die Benutzung wird auch durch die inhaltliche Erschließung der Kirchenbücher erleichtert.

Die Veröffentlichungsreihe mit Namen Edition Brühl ist mittlerweile auf 136 Titel angewachsen. Monatlich kommen einige Titel hinzu. Käufer dieser CDs kennen das Archiv oft von eigenen Besuchen, haben aber meistens weder räumlich noch zeitlich die Möglichkeit, das Archiv häufig zu besuchen. Daher wird die Möglichkeit, eine Forschungshilfe zu erwerben, die ein unabhängiges Arbeiten vom Archivstandort ermöglicht, sehr geschätzt.

Die Digitalisierungsarbeiten mit dem Bookeye3 für das Kirchenbuchprojekt werden voraussichtlich noch bis 2012 andauern. Bislang ist dieses Projekt aufgrund seiner Kontinuität und seiner stetig wachsenden und qualitativ hochwertigen Arbeitsergebnisse ein Leuchtturmprojekt in der staatlichen deutschen Archivlandschaft.


Zur Autorin

Astrid Großgarten
ImageWare Components GmbH
Am Hofgarten 20
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E-Mail: grossgarten@ptverlag.de