Rezension: Was für ein Service!
Becker, Tom: Was für ein Service: Entwicklung und
Sicherung der Auskunftsqualität von Bibliotheken

B.I.T.online INNOVATIV Band 13,
Wiesbaden: Dinges & Frick, 2007. 216 S.: zahlreiche Graf.u.Tab. 29,50 €

Ich sag es gleich vorab: Tom Becker und seine 10 AutorInnen haben in dem Werk "Was für ein Service! Entwicklung und Sicherung der Auskunftsqualität von Bibliotheken" für die Entwicklung eines zeitgemäßen Auskunftsdienstes eine wegweisende Arbeitsgrundlage vorgelegt. Die Spannweite des breit angelegten Sammelbandes reicht von "Die Einführung von Auskunftsstandards als Chance-Management-Prozess" (Cornelia Vonhof) über "Gelassen im Auskunftsdienst ­ Stressbewältigung und Motivation" (Katharina Schaal) bis hin zu gut nachvollziehbaren Praxisberichten aus München, Reutlingen und Stuttgart.

Die Bestandaufnahme der Autoren: Der Auskunftsdienst ist für den Kunden der erste und somit oft der entscheidende Kontakt zur Bibliothek. Der erste Eindruck erhält bekanntlich selten eine zweite Chance! Zum anderen wird der Auskunftsdienst vom Kunden als Beschwerdeinstanz genutzt. Es ist unabdingbar, die Auskunft mit dem besten Personal zu besetzen, das einer Bibliothek zur Verfügung steht. Die Bibliothek muss mehr bieten als das, was ohnehin jeder selbst im www finden und kostenlos abrufen kann. Vor allem bei Schülern sei zu beobachten, dass die Informationssuche per Google selbstverständlich ist, die Nutzung von Bibliotheken jedoch nicht. Die Öffentlichen Bibliotheken ­ als soziale und kulturelle Orte ­ haben bei wachsenden Online-Angeboten eine immer differenziertere, zielgruppenorientierte Vermittlungsfunktion. Dabei hat das interaktive Auskunftsgespräch im Hinblick auf die stetig steigende Informationsflut eine öffentlichkeitswirksame und tragende Schlüsselfunktion. Das Auskunftsinterview bildet den Kern dieser Dienstleistung, die den Bibliotheken einen festen Platz in der Informationsgesellschaft sichern kann.

Ziel ist es, durch Change Management - das ist ein ganzheitlicher Veränderungsansatz mit dem Ziel - aus der Bibliothek eine lernende Organisation zu machen. Dazu sind Standards hilfreich sowohl aus der Sicht des Kunden als auch aus der Sicht der Mitarbeiter. Aus Kundensicht bietet das Setzen von Standards die Gewähr, dass die Dienstleistung auf einem erwartbaren Niveau und ohne Qualitätsschwankungen von allen im Auskunftsdienst anzutreffenden MitarbeiterInnen erbracht wird. Aus Sicht der MitarbeiterInnen bietet die Einführung von Standards Orientierung und Klärung welches Leistungs- und Qualitätsniveau von ihnen erwartet wird. Wenn es den Bibliotheken. gelingt, ihre Auskunftsdienstleistungen durch professionelle Techniken wie das Auskunftsinterview zu profilieren und in der Öffentlichkeit publik zu machen, wenn sie diese Dienstleistung in der Bibliothek selbst wie im Internet anbieten, werden sie neben den Suchmaschinen einen festen Platz in der Informationsgesellschaft behalten.

Auch die Einwände gegen Standards werden ausführlich referiert: die Befürchtung zur Egalisierung verpflichtet zu werden, die jegliche Individualität verbietet, Kritik an dem Begriff "Standard": der Begriff sei zu technisch, zu betriebswirtschaftlich, wirke zu normierend und trage einen stark kontrollierenden Charakter. Dem wird überzeugend argumentativ entgegengetreten: Standards sollen ein Niveau beschreiben, das angestrebt werden soll. In diesem Sinne sind die Standards verpflichtend. Die Qualitätsstandards sind so, wie sie jetzt formuliert sind, als sichtbarer Meilenstein in einem Prozess zu verstehen. In diesem Prozess ist es essentiell, professionelle Distanz und selektive Authentizität nicht nur im Kundenkontakt einsetzen zu können, sondern beide Instrumente sind auch im Umgang mit den Kollegen anzuwenden.

Den AutorInnen ist bewusst, dass den kommunikativen Fähigkeiten dabei eine überragende Rolle zukommt. Carmen Barz: "Der wichtigste Aspekt für die Zufriedenheit ist das Verhalten der Auskunftsperson und nicht etwa, wie vielleicht von manchen erwartet, das bibliothekarische Fachwissen oder die Ausstattung der Bibliothek." Entscheidend ist die Beziehungsebene zwischen Auskunftsperson und Kunden. Grundlage für das kommunikative Verhalten ist der von Ruth C. Cohn geprägte Begriff "Selektive Authentizität". Das Ziel ist Stimmigkeit: Willst du ein guter Kommunikator sein dann schau auch in dich selbst hinein und lege deine Kommunikation authentisch und identitätsgemäß an und stelle die Balance her zum Systemblick. Jeder Mitarbeiter ist sowohl ein Individuum als auch ein Teil der Bibliothek und dadurch dem Ganzen verpflichtet.

Dieser sehr kurze Zusammenschnitt der Inhalte und Ziele wird durch viele Quellen und Grafiken ausführlich erläutert und begründet. Am Anfang hatte ich den Eindruck: zu ausführlich, weniger wäre mehr gewesen. Nein, es ist notwendig das Problem in seiner ganzen Komplexität darzustellen, vor allem, um sich die Schwierigkeiten dieses Prozesses beim Praxistransfer zu verdeutlichen. Insgesamt ist es aus meiner Sicht eine vortreffliche Anleitung - auch für kleine und mittlere Bibliotheken - um den eigenen, individuellen Weg zu Verbesserungen der Auskunftssituation herauszufinden.

Einwände regen sich bei mir bei dem ansonsten gewinnbringenden Beitrag von Herrmann Rösch "Das Auskunftsinterview" in Bezug auf Kommunikation. Rösch folgt nicht dem Grundsatz "Selektive Authentizität" und spricht fortwährend von kommunikativen Techniken. Das Wort Technik verleitet dazu den Aspekt der Einstellung und Haltung, die diesem Prozess innewohnt, zu übersehen. Solche Darstellungen sind oft von der Illusion getragen, kommunikative Verhaltensweisen könnten in kurzer Zeit als Technik eingeübt und von heute auf morgen umgesetzt werden. Gerade weil wir uns beim Praxistransfer keinen Illusionen hingeben dürfen, möchte ich auf diesen Beitrag ausführlich eingehen. Kommunikative Kompetenz, die Fähigkeit sich in unterschiedlichen Sprechsituationen zurecht zu finden sind keine Techniken. Sie werden nicht nur von der Verhaltensebene bestimmt, sondern auch von zwei anderen Veränderungsebenen, nämlich der Gefühlsebene und der Identitätsebene. Alle drei beeinflussen sich wechselseitig. Ich berate umso professioneller, je mehr ich es schaffe, mein Auskunftsgespräch ziel- und situationsgerecht auszurichten und sorgfältig darauf achte, dass mir meine psychische Dynamik dabei nicht in die Quere kommt. Jegliche Kommunikation, auch ein Auskunftsinterview, ist immer ein Kreislauf, indem alle Beteiligten Sender und Empfänger zugleich sind. Es ist ein vielschichtiges Geschehen, in dem die Wahrnehmung der Beteiligten von allem bestimmt werden, was sie während des kommunikativen Prozesses bewegt. Nur wenn wir unsere eigene Vielstimmigkeit verstehen, nur dann können wir selektiv authentisch kommunizieren. Der Weg zu dem anderen führt über den Umweg zu mir selbst. Kommunikation ist subjektiv, persönlich, einmalig, unvorhersehbar und unplanbar. Das Wirkungsgeflecht unserer Handlungen können wir nicht voraussehen. Wir werfen einen Stein ins Wasser, welche Wellen er schlägt, ist nicht vorhersehbar. Und: wir kommunizieren niemals direkt miteinander, sondern immer über den Umweg unserer individuellen Landkarte (1).

Auch und gerade für unsere nonverbale Kommunikation ist folgende Aussage aus meiner Sicht eine Fehleinschätzung, die nicht nur "Selektiver Authentizität" widerspricht sondern vor allem in der Praxis zu Enttäuschungen führt: Herrmann Rösch auf S. 76: " Im Alltag werden nonverbale Signale meist unbewusst ausgesandt und wahrgenommen. In professionellen Kommunikationssituationen aber sollten nonverbale Anteile gezielt eingesetzt werden. Sie können so zur Steuerung des Gesprächsablaufes entscheiden beitragen." "Kopfnicken und Lächeln ermutigen den Kunden und vermitteln ihm das Gefühl, willkommen, freundlich aufgenommen und grundsätzlich ernst genommen zu werden."

Gerade nonverbale Kommunikation (innere Gedanken in äußerer Gestalt) können wir nicht gezielt einsetzen, dafür sorgen schon eine Vielzahl ideomotorischer Zeichen, die nicht dem Willen unterworfen sind und in der Regel unbewusst wahrgenommen werden und dadurch um so nachhaltiger auf uns einwirken. Konflikte z.B. am Auskunftsplatz können nicht durch Ausblenden verhindert oder vermieden werden. Sie sind integrale Bestandteile der Wirklichkeit, die es zu akzeptieren gilt. Und so ganz nebenbei: der Kunde ist nicht König, wir leben in einer Republik!

Ich möchte versuchen, in aller Kürze es am Beispiel "lächeln" zu erläutern: Es ist ein Irrtum, durch Freundlichkeit oder Anpassung Ziele erreichen zu können. Wenn ein Lächeln nicht dem inneren Zustand entspricht ist es künstliches Gehabe und wird zur unreflektierten Gruppennorm: Egal wie schlecht es mir geht, bei uns in der Bibliothek wird gelächelt. Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob es einer ehrlich meint oder nicht. Langfristig zahlen wir einen hohen Preis dafür und laufen Gefahr Dale Carnegie auf den Leim zu gehen oder wie die Lufthansa zu werben: Über 53 Millionen Fuggäste im Jahr: Und ein Lächeln für jeden Einzelnen.

Auch beim Aktiven Zuhören nach Gordon ist Vorsicht angesagt. Zum Einüben guten Zuhörens, um die Fähigkeit zu Einfühlung und Perspektivübernahme zu entwickeln ist aktives Zuhören im Kommunikationstraining unverzichtbar, aber es kann keine generelle Verhaltensempfehlung sein. Auch die Unterbrechung in einem Gespräch ist eine hohe Kunst in der Kommunikation und nicht nur legitim sondern oft genug unvermeidbar. Eigenimpulse zurückstellen, eine geduldige, gewährende Haltung aufzubringen in professioneller Distanz ist anzustreben ­ wann immer es uns gelingt. Aber was mache ich, wenn ich innerlich deutlich spüre, dass aufkommende, berechtigte Ungeduld meine Zuhörbereitschaft untergräbt? Was mache ich mit einem Kunden, dessen Mitteilungsfreudigkeit größer ist als seine Wahrnehmungsfähigkeit und er mir ununterbrochen mit der Länge der transsibirischen Eisenbahn Dinge erzählt die ich gar nicht wissen will? Auch die Kunst der Unterbrechung gilt es zu lernen als wichtige Kompetenz im Beratungsgespräch, sollte in Schulungen sogar vorrangig trainiert werden. Diese Einwände sind mir wichtig, weil wir uns stets vor Illusionen bei der Umsetzung hüten sollten.

Was mich besonders beeindruckt: Alle Autoren haben sich nachhaltige Gedanken gemacht, welche Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungen und Modelle dazu beitragen können den Veränderungsprozess in Richtung Auskunftsstandards in die Praxis umzusetzen. Haben wir es doch mit den hartnäckigsten Ängsten zu tun, die es gibt: mit Veränderungsängsten! Nichts wird von oben verordnet: Schaffung und Aufrechterhaltung der Motivation und angemessene Partizipation in allen Projektschritten, jeglicher Verzicht auf Kontrolle, wohl wissend, das jede Form von Kontrolle in eine lebensfeindliche Richtung drängt, es wird empfohlen, sich mit dem Widerstand zu verbünden, statt ihn zu unterdrücken, Mitarbeiterbeteiligung, ausreichende Schulung, Führungskräfte-Feedback, Einarbeitung neuer Kollegen, Kritikgespräche. Das alles sind die entscheidenden Faktoren die Veränderungen ermöglichen, ausgehend von der Erfahrung, dass Standards nur dann funktionieren, wenn sie von möglichst vielen MitarbeiterInnen getragen werden. Der Weg ist das Ziel oder in der Sprache der Verfasser: es findet ein "permanentes Training on the job" statt. Mein allerhöchstes Lob gilt dem Sachverhalt, dass das Hauptproblem jeglichen Kommunikationstrainings, der Praxistransfer, in den vorgeschlagenen Gruppenprozessen eingebaut ist. Ständig mit Menschen aller Alterstufen und unterschiedlicher Herkunft in Kontakt zu treten und ständiges Feedback darüber im Kreise der Kollegen zu üben ist das wirkungsvollste Kommunikationstraining, das ich mir vorstellen kann und neben der beruflichen Qualifizierung ein außerordentlicher Gewinn für persönliches Wachstum. Wer sich an diesem Lernprozess beteiligt, setzt zwei für Menschen unersetzliche Medikamente ein: Zuhören und Sprechen. Zuhören ist der Anfang vom Anfang in Veränderungsprozessen. Denn: Nur wer zuhören kann, ist auch in der Lage zu sprechen. Und wer dem Hören und Zuhören einen Wert gibt, ist auf dem Weg zur Achtsamkeit zu sich selbst und anderen gegenüber und wird Zuhören und Sprechen als Lebenskunst entdecken.

"Chapeau !" In meinen Augen ist Herausgeber Tom Becker und seinen AutorInnen Carmen Barz, Frank Daniel, Katinka Emminger, Ursula Georgy, Hanne Riehm, Herrmann Rösch, Katharina Schaal, Ingeborg Simon, Cornelia Vonhof und Jutta Zimmermann ein hochinteressanter, inhaltsreicher, ein wegweisender Sammelband gelungen. Und ich wünsche ihnen das, was sich Autoren zu allen Zeiten gewünscht haben: Die maximale Verbreitung ihres Werkes.


(1) siehe: Heckel, Jürgen: Frei sprechen lernen. Ein Leitfaden zur Selbsthilfe, 3. Aufl., 2006

Jürgen Heckel
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www.juergenheckel.de