Mind the Gap – Aktivieren statt belehren
Von Ulrike Hanke und Stephan Holländer
Überfüllte Hörsäle, Studierende dicht gedrängt im Labor: Diese Szenen an den Hochschulen wird es im laufenden Semester nicht geben. Online-Unterricht ist das Gebot der Stunde.
Das neuartige Corona-Virus zwingt die Hochschulen zu drastischen Maßnahmen. Die sonst teils überfüllten Hörsäle sind zu, Seminarräume geschlossen, Bibliotheken bis auf weiteres nicht geöffnet. Der Lehrbetrieb von Norden bis in den Süden der Republik musste sich innerhalb kürzester Zeit auf Online-Lehre einstellen. Die geplanten Lehrveranstaltungen mit Studierenden sollen bis auf weiteres im digitalen Fernunterricht-Format stattfinden. Lehrvideos, gestreamte Tutorials, in leeren Hörsälen aufgezeichnete Vorlesungen, Videokonferenzen, interaktive Seminare und Chats gehören jetzt zum Hochschulalltag. Für die Dozierenden wurden viele Schulungen in aller Eile angeboten.
Nachdem die Dozierenden nun die Grundfunktionen der Videokonferenzsoftware beherrschen, stellt sich etwas Ernüchterung ein: Dozierende beschleicht das Gefühl, ihren Unterricht in einen echolosen virtuellen Raum hinein zu halten. Mikrofone und Videokameras der Studierenden sind ausgeschaltet.
Als Dozierende/-r fragt man sich deshalb zu Recht: Wie kann ich die Studierenden aktiv zu einer Reaktion zum gebotenen Unterricht motivieren? Im Folgenden möchten wir einige didaktische Hilfen und Methoden vorstellen, die dabei helfen, das studentische Schweigen zu durchbrechen. Dazu muss im Voraus festgehalten werden, dass Online-Unterricht aus zwei Phasen besteht:
Asynchrone Lehre und synchrone Lehre
Die asynchronen Phasen sollen die Lernenden dabei unterstützen, grundlegendes Wissen zu erwerben; in den synchronen Phasen geht es dann um das Sichern dieses Wissens, dessen Vertiefung und Weiterentwicklung. Ein weiteres zentrales Element ist es, den auch sehr wichtigen menschlichen Kontakt zwischen den Dozierenden und Lernenden sowie unter den Lernenden aufzubauen und zu sichern.
Die Funktion der synchronen Präsenztreffen mit Lernenden besteht also nicht darin, längere Vorträge zu halten, sondern dies ist die geeignete Phase um
- Kontakt zwischen den Lernenden und den Dozierenden aufzubauen, d. h. die soziale Eingebundenheit zu sichern,
- Fragen zu klären und Ergebnisse aus den asynchronen Phasen des Unterrichts auszutauschen und zu besprechen und
- eine Lehrveranstaltung abzuschließen/abzurunden.
Werfen wir also einen Blick zurück auf die Situation, dass Dozierenden während der virtuellen Präsenzlehre oft etwas der Kontakt und die Interaktion mit den Lernenden fehlt, so wird deutlich, dass hier nach Unterrichtsmethoden für die synchrone Phase des Lehrens und Lernens gesucht wird.
Folgend möchten wir Ihnen jeweils zwei Methoden für die drei oben vorgestellten Einsatzszenarien der virtuellen Präsenzlehre in den synchronen Phasen präsentieren:
Methoden zum Kennenlernen
Mi-Ka-Vorstellungsrunde (mit Assoziationsbildern)
Die einfachste Methode, durch die sich die Lernenden im Rahmen eines virtuellen Präsenztreffens kennenlernen können, ist, indem sie sich mit Kamera und Mikrofon selber vorstellen. Sie hierzu anzuregen, ist nicht nur sinnvoll, damit sich die Lernenden und die Dozierenden kennenlernen, sondern hat noch eine weitere, sehr wesentliche Wirkung: Die Erfahrung zeigt, dass die Lernenden, sobald sie einmal mit Mikrofon und Kamera zugeschaltet waren – und in einer solchen Vorstellungsrunde „zwingt“ man sie ja sanft dazu – sehr viel bereiter sind, sich wieder einmal zuzuschalten, eine Frage zu stellen, auf eine Frage zu reagieren oder etwas zu kommentieren. Mit einer solchen einfachen Vorstellungsrunde mittels Kamera und Mikrofon schaffen Sie also eine Basis für eine gelingende Interaktion auch in den folgenden virtuellen Präsenztreffen.
Wenn Sie mögen, können Sie den Impuls zur Vorstellung noch mit Assoziationsbildern verstärken. Dafür wählen Sie verschiedene zum Thema passende Bilder aus und zeigen diese den Lernenden. Dann bitten Sie sie, ihre Namen zu dem Bild, welches sie persönlich am meisten mit dem Thema in Verbindung bringen, beispielsweise auf das Whiteboard zu schreiben. Anschließend bitten Sie die Lernenden sich kurz vorzustellen und zu erklären, warum sie ihren Namen zum jeweiligen Bild hinzugeschrieben haben.
Visitenkarten
Sollten Sie weniger Zeit haben für eine Vorstellungsrunde oder eine sehr große Anzahl an Lernenden, dann können Sie die Lernenden auch bitten, Visitenkarten zu erstellen und auf einer digitalen Pinnwand (wie z.B. padlet.com) zu veröffentlichen. Geben Sie den Lernenden für die Erstellung ihrer Visitenkarte einige Minuten Zeit und geben Sie ihnen anschließend Zeit, die Visitenkarten der anderen Lernenden anzusehen. Ergreifen Sie erst danach wieder das Wort.
Methoden zum Vertiefen, Sichern und Anwenden von Vorkenntnissen und neuem Wissen
Glückstopf
Beim Glückstopf zeigt der/die Dozierende den Lernenden wesentliche Begriffe aus dem in der asynchronen Phase erarbeiteten Lernstoff. In einem ersten Schritt bitten Sie die Lernenden darum, sich kurz nochmals zu vergegenwärtigen, was diese Begriffe bedeuten. Dann wählen Sie Lernende nach dem Zufallsprinzip aus und bitten sie jeweils einen selbst gewählten oder vom Dozierenden genannten Begriff zu erklären. Durch diese Methode erhalten Sie Aufschluss über die Kenntnisse der Studierenden zum Unterrichtsgegenstand. Setzen Sie diese Methode zum Einstieg ein, bekommen Sie Informationen über das Vorwissen der Lernenden zum Thema und erhalten nebenbei im Austausch auch mehr Informationen über die Erwartungen an das Unterrichtsthema.
Braindumping
Eine weitere Methode, um neues Wissen zu sichern, besteht darin, die Lernenden bereits als Vorbereitung auf das virtuelle Präsenztreffen offene Fragen und Herausforderungen formulieren zu lassen. Sammeln Sie diese Fragen/Herausforderungen in einem Etherpad (ein kooperativ bearbeitbares Dokument, das viele Learning Management Systeme wie z. B. Ilias bereits integriert anbieten). Lassen Sie die Lernenden dann während des virtuellen Präsenztreffens diese Fragen/Herausforderungen in einer Art Brainwriting beantworten, d. h. Sie geben ihnen den Link zum Etherpad und bitten sie, zu allen Fragen/Herausforderungen, zu denen ihnen Antworten/Lösungen einfallen, diese Antworten/Lösungen ins Etherpad zu schreiben. Wenn Sie die Möglichkeit dazu haben, teilen Sie die Lernenden für die Bearbeitung der Aufgaben in kleine Gruppen auf (z. B. in Zoom oder Adobe Connect durch das Schaffen von Break-Out-Rooms oder in MS Teams durch das Anlegen von Untergruppen, die auch Channels Um Wissen zu vertiefen oder anzuwenden, können Sie beim virtuellen Präsenztreffen auch ein Rollenspiel vorbereiten und durchführen lassen. Auch hierfür können Sie die Lernenden in kleinen Gruppen jeweils eine Rolle vorbereiten lassen und anschließend aus jeder Gruppe eine Person für die Durchführung des Rollenspiels gewinnen – klar, dieses Rollenspiel ist dann nicht mehr als ein kontradiktorisches Gespräch, aber immerhin kann so Diskussionskompetenz, aber auch Sozialkompetenz und das kritische Denken geübt werden. Abschließend können Sie die Argumente der unterschiedlichen Rollen mit den Lernenden noch auf einem Whiteboard sammeln (und diskutieren oder als Anregung zum eigenen Weiterdenken stehen lassen).
Wichtig beim Lernen ist es, Feedback zu erhalten. Für Sie als Dozierende/-r ist es aber sehr schwer, allen Lernenden immer wieder persönlich Feedback zu geben. Nutzen Sie deshalb die Möglichkeit, dass sich die Lernenden gegenseitig Feedback geben. Wenn die Lernenden in der vorausgehenden asynchronen Phase eine oder mehrere Aufgaben zu erledigen hatten, lassen Sie einzelne Lernende ihre Ergebnisse beim virtuellen Präsenztreffen vorstellen. Bitten Sie nach jeder Kurz(!)-Präsentation um ein Feedback der anderen Lernenden. Nutzen Sie dafür als erstes die Chatfunktion oder die Möglichkeit des Whiteboards. Greifen Sie anschließend einzelne Punkte aus den Feedbacks heraus und bitten Sie die Verfasser der Feedbacks, diese noch zu erläutern. Beziehen Sie auch selbst Stellung.
Rollenspiel
Methoden zum Austausch und Feedback geben
Ergebnispräsentationen
Aus der aktuellen Ausgabe:
EDITORIAL
Rafael Ball:
Die Corona-Bibliotheken
COVID-19 AKTUELL
Berichten aus den
Bibliotheken
dbv-KOLUMNE
Andreas Degkwitz:
Abstand trotz Nähe –
Nähe auf Abstand
u.v.m.
In der Ausgabe 7/2024
- Zeitschriftennutzung in Bibliotheken: Download-Konzentration und Open Access
- Open Access killed the Journal Star?
- Fehlende Transparenz und Regelungen beim Einsatz von KI-Chatbots in wissenschaftlichen Verlagen
- AI Literacy: Kompetenzmodell verstehen
und verantwortungsvoll nutzen - Dein neuer Kollege KI – Freund oder Feind?
- KI-Agents: Informationsbeschaffung
der Zukunft - KI-Revolution in Bibliotheken:
Neues Framework für AI Literacy gefordert - IFLA Trend Report 2024: Globale Trends
und ihre Auswirkungen auf Bibliotheken - Die wirtschaftlichen Auswirkungen des
E-Lending in Öffentlichen Bibliotheken
auf den Publikumsmarkt - Wenn Bibliotheken im Dunkeln stehen
- Frei von Zwängen:
MIT-Bibliotheken erfolgreich ohne Elsevier
BIOGRAFIEN
Vergessene Frauen werden sichtbar
FOTOGRAFIE
„In Lothars Bücherwelt walten magische Kräfte.“
Glamour Collection, Lothar Schirmer, Katalog einer Sammlung
WISSENSCHAFTSGESCHICHTE
Hingabe an die Sache des Wissens
MUSIK
Klaus Pringsheim aus Tokyo
Ein Wanderer zwischen den Welten
MAKE METAL SMALL AGAIN
20 Jahre Malmzeit
ASTRONOMIE
Sonne, Mond, Sterne
LANDESKUNDE
Vietnam – der aufsteigende Drache
MEDIZIN | FOTOGRAFIE
„Und ja, mein einziger Bezugspunkt
bin ich jetzt selbst“
RECHT
Stiftungsrecht und Steuerrecht I Verfassungsrecht I Medizinrecht I Strafprozessrecht
Partner/-innen-Feedback
Da durch die gerade beschriebene Art der Ergebnispräsentation nur wenige Lernende ein Feedback erhalten können – ansonsten würden Sie sehr viel Zeit brauchen und die Lernenden mit einer großen Anzahl aufeinanderfolgender Präsentationen langweilen – bietet es sich auch hier wiederum an, die Lernenden zu zweit, maximal zu dritt in Break-Out-Rooms oder Channels zu schicken und sich dort gegenseitig Feedback zu ihren Lösungen zu geben. Anschließend holen Sie sie wieder zurück und klären aufgetretene Fragen in der Gesamtgruppe.
Methoden zum Abschließen der Lehrveranstaltung
Marktspaziergang
Wenn Sie in Ihrer Lehrveranstaltung eine Lernplattform (Learning Management System wie Moodle, Ilias oder OLAT) für die asynchronen Phasen nutzen, dann können Sie diese Plattform auch für den Abschluss innerhalb einer synchronen Phase zur Ergebnispräsentation nutzen. Mussten die Lernenden im Rahmen der Lehrveranstaltung Aufgaben bearbeiten, deren Lösung nicht nur „richtig“ oder „falsch“ sein können, die unterschiedliche Lösungen und Ergebnisse ermöglichen, also auch ein gewisses Maß an Kreativität erfordert haben, dann können Sie die Ergebnissicherung zum Abschluss einer synchronen Phase mit dem Marktspaziergang gestalten. Bitten Sie die Lernenden dafür ihre Ergebnisse/Lösungen in einem Forum hochzuladen. Anschließend bitten Sie sie, sich durch das Forum zu klicken, die Lösungen der Mitlernenden anzusehen und Feedback dazu zu geben, indem sie dieses ins Forum posten. Anschließend können sie mit den Lernenden im gemeinsamen Plenum noch Fragen klären oder auch ein oder zwei Lösungen noch etwas genauer besprechen. Durch den Einsatz dieser Methode erhalten die Lernenden einen Eindruck davon, was die anderen Lernenden über die Lehrveranstaltung hinweg erarbeitet haben.
Wrap-up
Eine schnelle Methode, um eine synchrone Sitzung zu beenden, ist das Wrap-up. Hierfür stellen Sie den Lernenden einfach die Frage, welche Erkenntnis für sie die wichtigste des Treffens oder auch der inhaltlichen Lerneinheit als Ganzes war. Bitten Sie die Lernenden, diese Erkenntnis auf das Whiteboard oder in den Chat zu schreiben. Dies aktiviert die Lernenden zum Schluss nochmals, sich kurz mit den Inhalten der Veranstaltung zu beschäftigen. Außerdem wird dadurch deutlich, dass unterschiedlichen Lernenden auch immer sehr unterschiedliche Dinge wichtig sind.
Es gibt also Möglichkeiten, um die Studierenden zur aktiven Beteiligung am Unterricht zu bewegen. Es braucht Zeit, bis sie sich an Chats beteiligen oder gar ihr Mikrofon einschalten. Die Studierenden sind genauso gefordert und manchmal vielleicht ebenso angespannt wie ihre Dozierenden, die die Fernlehre über Internet halten. Auch brauchen die Studierenden viel Selbstdisziplin und Durchhaltewillen, um das monatelange Studium mit Videoclips und Webinaren im Homeoffice durchzuhalten. „Studierende tendieren dazu, sich die Videos verspätet und alle auf einmal anzusehen“, so die Erfahrung einer französischen Kollegin. Nicht jeder Studierende hat die Erfahrung und auch die technische Kompetenz, mit rein digital vermitteltem Stoff umzugehen.
Unser Fazit nach gut zwei Monaten Fernunterricht ist deshalb:
Man muss sich vom Denken im Wochenrhythmus verabschieden. Nur weil wir in der Präsenzlehre bisher wöchentlich zwei Lektionen unterrichtet haben, muss dies für die Online-Lehre nicht passend sein. Viel sinnvoller ist es, in inhaltlichen Einheiten zu denken und davon ausgehend zu planen, was in asynchronen, was in synchronen Phasen besser aufgehoben ist und wie viel Zeit für beides zu veranschlagen ist. Synchrone Lehrphasen sollten kurz gehalten werden, als Faustregel gilt eine bis anderthalb Stunden. Soll viel Stoff vermittelt werden – was sinnvollerweise in asynchronen Phasen erfolgt, kann zwischen zwei synchronen Treffen auch gut und gerne mal mehr als eine Woche vergehen.
Weitere Links zur Vertiefung:
Schatzkiste Digitale Lehre auf
www.hochschuldidaktik-online.de
Checkliste für den Onlineunterricht:
https://hochschuldidaktik-online.de/wp-content/uploads/2020/03/Checkliste_VirtuellePraesenzlehre.pdf
Selbstlernkurs „Online-Lehre – wie geht das?“ von Ulrike Hanke:
https://www.udemy.com/course/online-lehre-wie-geht-das/?referralCode=07EFE28E25407D37FE32
Ulrike Hanke, Bad Krozingen
mail@ulrike-hanke.de
Stephan Holländer
Lehrbeauftragter
Basel
stephan@stephan-hollaender.ch
1. Sollte die von Ihnen verwendete Software keine Aufteilung der Gesamtgruppe in Teilgruppen zulassen, so können Sie die Lernenden auch bitten, bereits vor dem Präsenztreffen z. B. über das Learning Managementsystem (z. B. Ilias, Moodle, OLAT), welches Sie einsetzen, Gruppen oder Paare zu bilden und Kontaktdaten auszutauschen. Die Lernenden können dann z. B. in den Gruppenphasen telefonieren, skypen oder über andere Messenger-Dienste, auf die sie sich einigen, miteinander sprechen.