Das Coronavirus und die Deutsche Nationalbibliothek
Frank Scholze, Susanne Oehlschläger, Stephan Jockel
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Branchen von der Krise betroffen, auch der Kulturbereich – Museen, Theater, Archive und Bibliotheken leiden darunter. Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) ist keine Ausnahme. Als die ersten Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland bekannt wurden, waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DNB besorgt und fragten sich, welche Auswirkungen das Virus auf die Bibliothekswelt haben würde. Waren die ersten Wochen der zunehmenden Ausbreitung des Virus noch von Ungläubigkeit, Hoffen und geradezu Trotz geprägt – von „Die Buchmesse in Leipzig wird doch stattfinden?!“ bis zu „Leipzig liest trotzdem“, hat sich dann relativ schnell die Auffassung verfestigt, dass Massenveranstaltungen und überhaupt alle nicht unbedingt notwendigen physischen Kontakte zu vermeiden sind. Anfang März, nachdem in der Mehrzahl der Bundesländer Infektionsfälle mit SARS-CoV-2 bestätigt worden waren, wurden die Beschäftigten mit Informationen zum Thema „Hygienisches Verhalten am Arbeitsplatz“, zum Verhalten nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet und zu Dienstreisen versorgt und gebeten, diese sowohl im dienstlichen als auch im privaten Bereich zu beherzigen.
Während die TU Berlin als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland ihre Bibliotheken wegen des Coronavirus bis auf Weiteres schließen wollte, war die DNB weiterhin optimistisch, den Benutzungsbetrieb aufrechterhalten zu können. Gleichwohl verfolgte sie kontinuierlich alle Empfehlungen der Gesundheitsbehörden in Leipzig und Frankfurt am Main sowie die des Robert-Koch-Institutes und der Bundesregierung und entschied sich aufgrund einer veränderten Einschätzung der Bundesregierung schon am nächsten Tag, dem 13. März, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und durch eine Schließung der Bibliothek dazu beizutragen, eine Verbreitung des Virus zu verlangsamen: Seit dem 16. März 2020 sind die Benutzungsbereiche in den Lesesälen beider Standorte sowie das Deutsche Buch- und Schriftmuseum und das Deutsche Exilarchiv geschlossen. Konferenzen und andere Veranstaltungen in den Liegenschaften der Deutschen Nationalbibliothek wurden zunächst bis Ostern abgesagt. Der interne Dienstbetrieb war davon noch nicht betroffen.
Und dann ging alles sehr schnell. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen wurde am 16. März ein Krisenstab aus den Leitungen der Fach-Bereiche und Mitgliedern des Zentralbereichs Verwaltung konstituiert. Bei seinem ersten Treffen entschied dieser Krisenstab, ab dem Folgetag für zunächst vier Tage den Dienstbetrieb der DNB auf einen Basisdienst zu beschränken. Zu diesem Basisdienst gehörte notwendigerweise die Aufrechterhaltung der IT-Infrastruktur sowie der internen und externen Kommunikation, der Zahlungsverkehr und der Posteingang. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der anderen Bereiche wurden unter Fortzahlung ihrer Bezüge und Entgelt vom Dienst vor Ort befreit. Die ausgenommenen Bereiche stimmten untereinander die Notwendigkeit der Präsenz vor Ort ab, die Kolleg/-innen, die für die interne und externe Kommunikation zuständig sind, konnten aufgrund ihrer technischen Ausstattung und Erfahrung bereits überwiegend aus dem Home-Office arbeiten. Dem Fachbereich IT kam die dringliche Aufgabe zu, auch an Lösungen zu arbeiten, die das mobile Arbeiten verbessern sollten.
In den Anfangstagen ging es zunächst darum, auch unter den Beschäftigten einzelner Bereiche die Kommunikation zu verbessern. Dazu wurde zunächst empfohlen, Telefonketten bzw. Gruppen in sozialen Netzwerken einzurichten. Auch war es wichtig, diejenigen Kolleg/-innen zu informieren, die zu dem Zeitpunkt nicht im Dienst waren oder keinen Internetzugang hatten. Dienstreisen sollten beendet oder gar nicht erst angetreten werden. Gleichzeitig wurden die Mitarbeiter/-innen aufgefordert, den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes zu folgen und ihre physischen Kontakte zu anderen auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Und es musste überlegt werden, welche Arbeiten von einem größeren Teil der Beschäftigten durch mobiles Arbeiten erledigt werden können.
In dieser ersten Woche des Shut-Downs tagte der Krisenstab täglich und informierte anschließend die Mitarbeiter/-innen per E-Mail und auf einer eigens für sie angelegten Website über den Fortgang der Beratungen und Ergebnisse: Zunächst wurde allen Beschäftigten der Zugriff auf ihre dienstlichen E-Mails über eine browserbasierte Lösung frei geschaltet und bei Bedarf auch der Zugang zu Programmen und Speicherorten der Informationsinfrastruktur der DNB über SGD (Secure Global Desktop) ermöglicht. Für die Erfassung der individuellen Arbeitszeiten wurde ein unbürokratisches Verfahren eingesetzt. Die bestehenden Vereinbarungen zur Telearbeit wurden ausgesetzt, die im Home-Office erbrachte Arbeitsleistung aller wird nach einheitlichen Kriterien betrachtet. Da für den Betrieb der Dienstgebäude ausreichend Personal anwesend sein muss – insbesondere für die Hausdienste und den IT-Betrieb – wurden die Öffnungszeiten des Hauses (für die Beschäftigten) und die Rahmenarbeitszeiten insgesamt reduziert, auch um eine Überlastung der vor Ort arbeitenden Beschäftigten zu vermeiden. Alle Mitarbeiter/-innen können vorübergehend maximal ihre individuelle Arbeitszeit ableisten, keine Zeitguthaben erarbeiten. Ausnahmen von dieser Regelung sind nur nach Genehmigung für Tätigkeiten möglich, die der akuten Bewältigung der Krise dienen.
Aufgrund der in Sachsen und Hessen erfolgten Verfügungen mussten die Schließung der Dienstgebäude in Leipzig und Frankfurt am Main für den Publikumsverkehr ausgeweitet werden. Konferenzen und andere Veranstaltungen in den Liegenschaften der Deutschen Nationalbibliothek wurden bis 3. Mai 2020 abgesagt. Das war für die Deutsche Nationalbibliothek besonders schmerzhaft, weil dem auch ein Festakt anlässlich des 30. Vereinigungsjubiläums der DNB am Leipziger Standort zum Opfer fiel, für den auch Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble sein Kommen zugesagt hatte. Schäuble war es, der als Bundesinnenminister 1990 für die Bundesrepublik den Einigungsvertrag unterzeichnet hatte und damit auch die beiden Vorgängerbibliotheken zur heute Deutsche Nationalbibliothek genannten Institution vereinigte.
Bereits nach zwei Tagen hatten knapp 300 von 620 aktiven Beschäftigten Zugriff auf ihre dienstlichen Daten und konnten dadurch vollständig oder zumindest anteilig im Home-Office tätig sein, nur wenige Tage später, waren es bereits 60% der Mitarbeiter/-innen. Es wurde beschlossen, dass grundsätzlich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem SGD/VPN-Zugang weiterhin im Home-Office tätig sein und ihre Tätigkeitsschwerpunkte mit den Führungskräften vereinbaren sollen. Für Beschäftigte, die keine oder nur wenige Tätigkeiten im Home-Office wahrnehmen können, wurde auch über Organisationseinheiten und Bereiche hinweg gedacht, um Aufgabenschwerpunkte zu setzen und sich gegenseitig auszuhelfen. Da es sich hierbei nicht um dauerhafte Aufgabenübertragungen handelt, bestanden keine Bedenken hinsichtlich der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten. Lediglich die Bereiche IT und Verwaltung sind aus betrieblicher Notwendigkeit weiterhin nach jeweils intern abgestimmten Anwesenheitsplanungen in den Dienstgebäuden tätig, wobei auch ihr Aufenthalt vor Ort auf ein Mindestmaß reduziert wird. Der Ausbildungsbetrieb wurde für die Zeit vom 23. März bis 9. April ausgesetzt. Gleichzeitig wurde aber auch schon überlegt, wie der Dienstbetrieb vor Ort zumindest in eingeschränktem Umfang ausgeweitet werden kann, z. B. um Warenlieferungen und Dienstleistungen annehmen und auch abrechnen zu können und das Wirtschaftsleben, wo möglich, zu stützen. Die Kantinen beginnen an beiden Standorten mit einem Thekenverkauf von Speisen und Getränken zum Verzehr in den Büros.
Für die Woche vor Ostern (Karwoche) hat der Generaldirektor in Abstimmung mit dem Gesamtpersonalrat die Schließung der Bibliothek angeordnet. Dafür müssen die Beschäftigten Urlaubs- bzw. Ausgleichstage in Anspruch nehmen. Mit der Schließung soll es allen, also auch den aktuell besonders beanspruchten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bereichen IT und Verwaltung ermöglicht werden, sich zu erholen.
Während einerseits der Krisenstab regelmäßig tagt und Entscheidungen über Arbeiten und Verhaltensweisen für die Zeit des eingeschränkten Dienstbetriebs fasst, haben sich die Beschäftigten insbesondere in den ersten Tagen der Schließung neu organisieren müssen. Es wurden Messengerdienste eingerichtet und Videokonferenzsysteme ausprobiert, wobei sich aber schnell zeigte, dass auch diese Systeme an ihre Grenzen stoßen, wenn halb Deutschland zu einer bestimmten Zeit am Vormittag versucht, sich per Videoübertragung trotz Abstand nahe zu sein und Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen zu halten.
Und während einerseits unter Hochdruck die Zusammenarbeit der Beschäftigten untereinander neu organisiert und der interne Dienstbetrieb aufrechterhalten wird, läuft auf der anderen Seite die Suche nach Wegen, in der Öffentlichkeit sichtbar zu bleiben und Nutzer/-innen auf digitale Angebote aufmerksam zu machen. In täglichen Beiträgen auf Twitter, Facebook und Instagram werden jeweils einzelne Aspekte und Exponate der virtuellen Ausstellungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig und des Deutschen Exilarchivs 1933–45 in Frankfurt am Main präsentiert. Auch der DNB-Newsletter erscheint jetzt häufiger. Die Deutsche Nationalbibliothek verfügt über 7,8 Millionen Netzpublikationen, von denen rund 1,3 Millionen frei zugänglich über das Web verfügbar sind. Der Hinweis darauf, wie auch die gegenüber der Vor-Covid19-Zeit deutlich intensivierte Beschäftigung mit Themen des Exils und der Mediengeschichte erreichen in diesen Tagen in den Sozialen Medien ein spürbar größeres Publikum als sonst.
Fazit: Es ist der DNB gelungen, in relativ kurzer Zeit die Home-Office-Möglichkeiten der Beschäftigten enorm auszuweiten und dadurch auch den notwendigerweise vor Ort arbeitenden Mitarbeiter/-innen mehr Raum zu geben, damit sie den vom RKI empfohlenen Abstand von 2 Metern gut einhalten können. Die veränderte Situation hat den Kommunikationsbedarf innerhalb des Hauses und nach außen verstärkt und zugleich digitalen Kommunikationstechniken Aufschwung gegeben. Wie in vielen anderen Firmen und Einrichtungen in Deutschland wurden auch hier vermehrt Videokonferenzen zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgeführt, was zumindest in der Anfangszeit schnell dazu führte, dass die Systeme in die Knie gingen. Zwischenzeitlich hat die anfangs ungewohnte Arbeitsweise fast zu einer „neuen Normalität“ geführt. Wenn von den neu genutzten digitalen Vernetzungen und Kommunikationsformen einiges in einer nach-pandemischen Zeit weiter eingesetzt und Arbeitsabläufe womöglich verbessert würden, wenn in der Not gefundene Formen des mobilen Arbeitens sich auch im Normalbetrieb bewährten und die Arbeitswelt flexibilisierten, hätte der jetzt als Krisenmanagement geleistete Aufwand einen über den Tag hinausweisenden Nutzen für alle. Es bleibt zu hoffen, dass durch die Krise die Digitalisierung Deutschlands und seiner Bibliotheken weiter vorangetrieben wird.
Deutsche Nationalbibliothek
Adickesallee 1
D-60322 Frankfurt am Main
s.jockel@dnb.de
http://www.dnb.de