COVID-19 in der Schweiz
Massnahmen der Bibliotheken der Universität Zürich
Dr. Wilfried Lochbühler
Das Coronavirus hat auch die Schweiz massiv betroffen. Der Schweizerische Bundesrat hat (nach einigen Maßnahmen bereits zuvor) am 13. März 2020 entschieden, den Präsenzunterricht an Schulen und Hochschulen einzustellen sowie Veranstaltungen mit über 100 Personen zu verbieten. Am 16. März wurden sämtliche öffentliche und private Veranstaltungen sowie Menschenansammlungen über fünf Personen untersagt. Verfügt wurde ferner die Schließung von öffentlich zugänglichen Einrichtungen, wie Einkaufsläden, Restaurationsbetrieben, Unterhaltungs- und Freizeitbetrieben (auch Bibliotheken) u. ä. schweizweit. Ausgenommen sind Lebensmittelläden, Poststellen, Apotheken und andere für die Versorgung der Bevölkerung lebensnotwendige Einrichtungen. Dringend empfohlen wird ferner, zu Hause zu bleiben, außer zum Einkaufen, zum Arztbesuch oder zum Gang zur Arbeit, sofern Homeoffice nicht möglich ist. Auf Straßen und Plätzen ist das öffentliche Leben nun deutlich reduziert, wenngleich kein vollständiger Lockdown des öffentlichen Lebens eingeführt wurde und der Gang zur Arbeit für viele Menschen nach wie vor notwendig ist. Nur in einigen Kantonen, mit besonderen Gefährdungssituationen, wie im Tessin, wurden noch weitergehende Maßnahmen umgesetzt.
COVID-19 und die Universität Zürich
Die Universität Zürich (UZH)1 war wie die anderen Hochschulen mit einer außerordentlichen und präzedenzlosen Situation konfrontiert. Ein Krisenstab hat die Lage laufend analysiert und entsprechende Entscheide der Universitätsleitung vorbereitet. Im Zeitraum vom 13. bis 20. März 2020 wurde zunächst die Einstellung des Präsenzunterrichts beschlossen und auf kontaktlose, digitale Lehre (mittels einer Online-Plattform „Teaching Tools“) umgestellt. Die übrigen Kernaufgaben in Forschung und Administration liefen zunächst weiter. In einem zweiten Schritt wurde Minimalpräsenz an der UZH mit Homeoffice für alle Mitarbeitenden angeordnet. Damit ist Forschung in den Räumlichkeiten nur noch mit Ausnahmebewilligung möglich und Dozierende dürfen nur in Ausnahmefällen, z. B. für die Aufzeichnung von Podcasts/Lehrveranstaltungen, die Gebäude betreten.2
COVID-19 und die UZH-Bibliotheken
Und die Bibliotheken? Mit der Einstellung des Präsenzunterrichts war auch eine Schließung der Bibliotheken der UZH für das Publikum verbunden. Von Anfang an war aber seitens der Universitätsleitung klar, dass die Bibliotheken alles daransetzen sollten, einen Minimalbetrieb zur Unterstützung von Forschung und Lehre aufrecht zu erhalten. Insbesondere sollte die Literaturversorgung für Studium und Lehre soweit wie möglich gewährleistet sein. Hierfür wurden zwei Kernmaßnahmen umgesetzt:
Das elektronische Bibliotheksangebot mit Zeitschriften, E-Books und Datenbanken wurde einschränkungslos weitergeführt. Das war problemlos möglich, da die entsprechenden Fachabteilungen der Hauptbibliothek der UZH (HBZ) auf Homeoffice umstellen und alle Arbeiten weiterführen konnten. Das galt auch für das Bibliotheksverwaltungssystem (in Zusammenarbeit mit dem NEBIS Verbund, der bei der ETH Zürich angesiedelt ist), für Repositorien und Publikationsplattformen und damit zusammenhängende Projekte. Das E-Library Angebot konnte teilweise, in Absprache mit Verlagen, vorübergehend ausgebaut werden. Ein Appell von swissuniversities (der Schweizerischen Hochschulrektorenkonferenz), des Schweizerischen Nationalfonds und des Konsortiums der Schweizerischen Hochschulbibliotheken hat die Verlage zusätzlich aufgefordert, Inhalte in der gegenwärtigen Situation Open Access zur Verfügung zu stellen.3
Insbesondere die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereiche der UZH sind aber auch in erheblichem Umfang auf gedruckte Bestände angewiesen. Buchversand und Dokumentenlieferdienst wurden deshalb von Beginn an als Schlüsselfunktion definiert, der auch im Minimalbetrieb weitergeführt werden sollte. Analoge Maßnahmen haben auch andere Universitätsbibliotheken der Schweiz eingeführt.4
Erfahrungen mit dem Minimalbetrieb der Bibliotheken an der Universität Zürich
Während der Betrieb der E-Library im Grunde problemlos läuft, war die Organisation von Buchversand und Dokumentenlieferung eine besondere Herausforderung. Das hängt mit der Organisation des Bibliothekssystems der Universität Zürich zusammen. Die HBZ hat den Schwerpunkt Naturwissenschaften und Medizin und bietet UZH-weite Dienstleistungen in den Bereichen E-Library, Open Access/Data Services sowie Bibliotheksverwaltungssystem an. Daneben verfügt die UZH über 35 dezentral organisierte mittlere und kleinere Instituts-, Seminar- und Fakultätsbibliotheken. Zusätzlich nimmt die Zentralbibliothek Zürich (ZB) als Kantons-, Stadt- und Universitätsbibliothek eine wichtige Funktion für die Literaturversorgung der UZH ein. Als von Stadt und Kanton getragene Stiftung verfügt sie über eine eigenständige Trägerschaft außerhalb der UZH. In diesem dreischichtigen System besteht für einen gemeinsamen Service in einer Krisensituation ein erhöhter Abstimmungsbedarf.
Die ZB war von Beginn an bereit, in Abstimmung mit der Universität und der Hauptbibliothek Unterstützung zu bieten und ihren Betrieb entsprechend einzurichten. Die ZB wurde gleichzeitig mit den UZH-Bibliotheken für den Publikumsverkehr geschlossen. Sie übernimmt aber seither, neben der gemeinsamen Organisation der E-Library mit der HBZ, als klassische Magazinbibliothek einen gewichtigen Teil der Aufgaben im Bereich Buchversand und Dokumentenlieferung auch für die UZH.5
Innerhalb der UZH hat die HBZ den Auftrag zur Umsetzung, zur Koordination und Unterstützung für alle Bibliotheken erhalten. Die großen Standorte der HBZ im Bereich Naturwissenschaften und Medizin konnten den Minimalbetrieb vor Ort problemlos einführen und aufrechterhalten. Jeweils zwei Mitarbeitende sind montags bis freitags hierfür vor Ort. Bei den meisten Institutsbibliotheken konnte in Zusammenarbeit mit den Bibliotheksleitungen der Service ebenfalls innerhalb weniger Tage eingerichtet werden, auch wenn bisweilen Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. Je nach Größe und Bedarf sind auch hier täglich bis zu zwei Mitarbeitende vor Ort, bei den kleineren genügt eine Person an bestimmten Tagen in der Woche. Organisatorisch musste, neben Anpassungen im Bibliotheksverwaltungssystem, wie Sistierung von Mahnläufen u. a., auch die Zugänglichkeit zu den Gebäuden für Mitarbeitende im Minimalbetrieb geregelt werden. Die Benutzenden wurden über eine gesonderte Website informiert.6 Die Mitarbeitenden kommunizieren über eine interne Kommunikationsplattform und via Online-Besprechungen und Chat. Eine Herausforderung hierbei war die Koordination mit dem Postdienst der UZH, der im Zuge der Minimalpräsenz die Anfahrtsorte reduziert hatte. So bringt das Bibliothekspersonal im Zentrum die zu verschickenden Pakete nun mit Shopper zur nächsten Weibelanfahrtsstelle. Aufgrund der Gebäudeschließungen müssen auch Anlieferungen von neuem Verpackungsmaterial genau terminiert werden. Unterschiede in den Benutzungsordnungen der Bibliotheken und lokale Gegebenheiten in den Gebäuden haben ferner dazu geführt, dass hinsichtlich Bestellvorgang und Zutritt zu Gebäuden teilweise im Detail unterschiedliche Regelungen getroffen werden mussten. Insgesamt ist es aber gelungen innerhalb weniger Tage einen Versanddienst aufzubauen, den Bibliotheksmitarbeitende bis heute mit Spezialbewilligungen vor Ort betreuen. So verschicken die UZH-Bibliotheken hunderte Bücher und Scans pro Woche.
Seitens der Benutzenden erhielten die Bibliotheken viel Anerkennung und Dankbarkeit für diesen Service. Zurückhaltung bei Bestellungen trug dazu bei, dass das (innerhalb der UZH kostenlose) Angebot nicht zu einem anfangs teilweise befürchteten Overload geführt hat. Zu Beginn hatten manche Mitarbeitenden Bedenken wegen der gesundheitlichen Risiken, die die Arbeit vor Ort bringen würde. Es hat sich aber gezeigt, dass die Arbeiten problemlos kontaktfrei und unter Einhaltung der Hygienevorschriften des schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit (BAG) ausgeführt werden können. Nicht wenige Mitarbeitende schätzen die Möglichkeit, an einzelnen Tagen vor Ort und nicht ausschließlich im Homeoffice arbeiten zu können.
Was bleibt für die Bibliotheken nach COVID-19?
Die Universität Zürich hat im Herbst 2019 beschlossen, die Bibliotheken innerhalb der UZH ab 2022 zu einer „Universitätsbibliothek Zürich“ (UBZH) zusammenzuführen. Die ZB bleibt selbständig, soll aber über eine Leistungsvereinbarung näher mit der UBZH verbunden werden, um gemeinsame Services aus einer Hand anbieten zu können. Es hat sich gezeigt, dass dieser Schritt in Zukunft nicht nur für eine Gesamtstrategie und organisatorische Gesamtsteuerung Vorteile verspricht, sondern auch mit Blick auf die Reaktionsfähigkeit in Ausnahmesituationen.
Die positive Resonanz auf den Minimalservice hat die Bedeutung der Bibliotheken für Forschung und Lehre einer Universität vermehrt ins Bewusstsein gerückt. Das wird sich positiv auswirken, zumal Bibliotheken insbesondere im Bereich der elektronischen Angebote nicht selten zu wenig als Dienstleistungseinrichtungen bewusst wahrgenommen werden.
Sodann steht zu erwarten, dass der Trend zu Open Access, der ja durch zahlreiche Initiativen in den letzten Jahren deutlich Fahrt aufgenommen hat, durch die aktuelle Situation zusätzlich gefördert wird.
Nicht zuletzt zeigt sich gegenwärtig, dass die Kommunikation und Zusammenarbeit auch via Homeoffice und ohne Präsenzsitzungen durchaus möglich ist. An der HBZ hat die Umstellung der Kommunikation bisher recht gut funktioniert. Hierzu hat eine neue Kommunikationssoftware für Videokonferenzen und Chat, die kurzfristig an der UZH eingeführt wurde, wesentlich beigetragen. Auch die Zugänge zum internen UZH-Netz von außen haben trotz intensiver Zusatznutzung bisher geringe Probleme verursacht. Zu erwarten ist, dass Homeoffice und Online-Sitzungen (auch in der regionalen und nationalen Zusammenarbeit) in Zukunft unseren Alltag vermehrt prägen werden.
Persönlich bin ich dankbar für die gute Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen und Institutionen in den zurückliegenden Wochen. Nicht nur die Mitarbeitenden in den Bibliotheken der UZH und der Zentralbibliothek, auch die Zentrale Informatik und Logistik der UZH, der Krisenstab und die Universitätsleitung haben vielfach unbürokratisch und unterstützend gewirkt.
Wie es weitergeht, bleibt offen: Verschärfen sich die allgemeinen Maßnahmen in Richtung Lockdown oder kommt es in absehbarer Zeit zu einer Lockerung? Flexibilität wird weiterhin notwendig sein, denn auch ein Wiederherauffahren des Betriebs wird schrittweise, dosiert und koordiniert erfolgen müssen.
1. Die Universität Zürich ist mit rund 25.500 Studierenden und 8.000 Mitarbeitenden die größte Universität der Schweiz. Sie bietet als Volluniversität mit 7 Fakultäten alle Fachbereiche an und ist als Stadtuniversität mit zahlreichen Liegenschaften auch räumlich dezentral organisiert
(vgl. https://www.uzh.ch).
2. https://www.su.uzh.ch/de/Coronavirus.html
3. Appel: «Öffnet den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur»
(https://consortium.ch/wp_live/wp-content/uploads/2020/03/COVID-19-swiss-call-to-publishers_D.pdf).
4. Analoge Services bieten aktuell z.B. die UB Basel, die UB Bern, die ZHB Luzern oder die Bibliothèque de l'Université de Genève an.
5. https://www.zb.uzh.ch/de/news/coronavirus
6. https://www.hbz.uzh.ch/de/coronavirus.html
Dr. Wilfried Lochbühler
Direktor Hauptbibliothek Universität Zürich
Universität Zürich Hauptbibliothek
Direktion
Strickhofstrasse 39
CH-8057 Zürich
www.hbz.uzh.ch
wilfried.lochbuehler@hbz.uzh.ch